Taenzer der Nacht
fassen. Aber er besteht darauf, daß es wahr ist. Wie Du Dir vorstellen kannst, lebe ich wie in einem Traum.
Ich führe natürlich weiter Tagebuch und werde es Dir eines Tages zeigen. Ich werde nächste Woche zum Fami lien treffen nach Maine fahren und danach wahrscheinlich wie der herkommen; das einzige, was mich im Moment interes siert, ist Ma lo ne.
John
P.S. Eliot sagte, ein Künstler muß wissen, wann er si c h seiner selbst bewußt sein darf und wann nicht. Das ist auch immer mein Problem gewesen! Und dies ist jetzt der Mo ment, wo ich mich wirklich einfach vom Strom des Lebens mitreißen lassen muß! Meine einzige Chance zur Liebe. Du siehst, ich muß das Risiko auf mich nehmen. Oder es geht mir wie dem Mann, von dem Thoreau erzählt, der, als es Zeit wurde zu sterben, feststellen mußte, daß er gar nicht gelebt hatte. Ich muß mich nicht Gott, wie Kierkegaard sag te, in die Arme werfen, sondern Ma lo ne. (Bitte verzeih mir das alles.)
„Armes Kind“, sagte jemand, als der Brief wieder in seinen Umschlag gesteckt wurde, und wir standen alle auf, um zum Morton Street Pier zu ziehen und uns unters Volk dort zu mischen.
Die Donnerstagabende gehörten Dr. Valeriani-Win ston, dem argentinischen Neurochirurgen, den Suther land in der Silvesternacht in Paris kennengelernt hatte. Er war ein sehr gut aussehender Mann in der Blüte seines Lebens, Sprößling einer berühmten Familie, Chi rurg, Sportschütze und ehemaliger Segler in der Olym pia mannschaft seines Landes. Vor einigen Jahren hatte er Malone den Strand in Hampton entlanggehen sehen und sich in ihn verliebt. In Argentinien war damals jeder Verdacht von Homosexualität gleichbedeutend mit dem Tod. Und so kam dieser schöne, olivbraune Mann, mit seinen hochgeschwungenen Augenbrauen, dem dünnen Schnäuzer und dem muskulösen Körper so oft nach Nordamerika, wie er konnte. Im Grunde war er in den amerikanischen Jungen verliebt: der ame ri kanische Junge, der während ihrer gemeinsamen Schulzeit sein bester Freund gewesen war, der Sohn eines amerikanischen Ölmanagers, mit dem er Segeln gelernt hatte, Schießen und Tennis Spielen. Dieser Jun ge hatte dann Argentinien verlassen, hatte geheiratet, war Rechtsanwalt geworden und wohnte in einem Vor ort von Seattle. Dr.Valeriani-Winston blieb mit seiner Erinnerung an eine Hochzeit vor vielen Jahren, wie mit einer gepreßten Blüte zurück, und durchzog nun den Erdkreis, um nach dem blonden Jungen zu suchen, mit dem er diese heißen glücklichen Sommer in Rio de la Plata verbracht hatte. So ist das Leben eines jeden Schwulen wie Malone: Er nimmt es nicht einmal wahr, was er alles in der Seele eines anderen Mannes aufwühlt. Wie hätte Malone auch wissen sol len, daß, während er an jenem Tag bei Sonnenunter gang den Strand in East Hampton entlangwanderte, ein argentinischer Arzt überwältigt wurde von dem Anblick der Reinkarnation einer Person aus seiner Ju gend?
Und während wir so am Donnerstag abend auf der Veranda saßen und zuschauten, wie die Ortsgruppe der Hell’s Angels sich vor einem Friseursalon versam melte, um sich die Haare schneiden zu lassen, kam ei ne Taxe an, und heraus stieg Su therland mit dem argen tinischen Neurochirurgen in Wildlederjacke, Polo hemd und Stiefeln, mit frischen Gesichtsfarben von einem Jagdnachmittag im Revier eines Freundes auf Long Island. Sie stiegen aus dem Taxi in die letzten schrägen, rötlichen Strahlen der Sonne, die ganz am Ende der Eighth Street im Hudson versank. Die schwu len jungen Männer, die auf dem Bürgersteig entlangliefen und ihn mit intensiven, auffordernden Blicken anschauten, bedeuteten ihm gar nichts. Er war einer von den Homosexuellen, die sich nur für einen einzigen Typ interessieren – der Freund, den er in seiner Jugend geliebt hatte – der blonde amerikanische Junge: Malone.
„Er ist so einsam“, sagte Sutherland zu Malone, als sie nachher auf der Veranda saßen und über ihn spra chen, „und solch ein Gentleman. Von der altmodischen Sorte, die froh wäre, ein Duell um dich ausfechten zu können. Er wird dir hier eine Wohnung kaufen, Lieb ling, und einmal im Monat zu einer Mediziner-Tagung herauffliegen, dich zu den besten Parties mitnehmen und dich danach in eurer Höhle ordentlich durch ficken. Der Traum eines j eden Mädchens ...“
„Hah“, Malone schüttelte sich. „Aber er ist ein Eis block. So exakt, so kompetent, so ein Macho. Warum ist er nur an mir interessiert?“
„Du ähnelst einem Jungen, den er
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