Taenzer der Nacht
kaltblütig einen liebenswürdigen jungen Mann schröpfen könnte. Aber damit waren wir ganz durchschnittliche Leute, und Sutherland war das nicht. Er schrieb sich zum Beispiel jeden Morgen den Endkurs der Union Carbide-Aktie in seine Handfläche, sodaß er ihn den ganzen Tag sehen konnte, während er seine Position John gegen über festigte, wohin sie auch gingen.
Niemand kannte so gut wie Sutherland die Patho logie der Liebe; und er zögerte nicht, Malones An zie hungs kraft auf John durch ein wenig Leiden zu ver stär ken; auch etwas mehr als ein wenig. John Schaeffer war sowieso in einer schwachen Position; vor einem Monat hatte er das College abgeschlossen und sich mit diesem Ereignis von einer langen Phase der Jugend verabschiedet, von Freunden, grünen Höfen, langen Abenden voller Gespräche über Poesie und Leben, sor gen freier Jugend, die in diesem Land offiziell mit 21 zu Ende geht. Ein Homosexueller wird nie wieder eine so enge Beziehung zu seinen heterosexuellen Alters ge nos sen haben – außer er geht zum Militär – eine Bezie hung, die unterdrückte Sexualität eher noch bewe gen der macht. John Schaeffer war ein gefühlvoller, ideali stischer Bursche, und das Ende dieser Freundschaften ließ ihn wie amputiert zurück; er war 21, durchtränkt von Shakespeares Sonetten und den Romanen von Hen ry James; er war jung und für viele Leute das Ideal bild eines gutaussehenden Amerikaners, der goldenen Jugend; aber alles, was er wollte, war Zunei gung, ein richtiger Freund, ein Gefährte, der den Verlust dessen lindern könnte, was er sentimentaler weise als seine letzte Jugend ansah (er konnte nicht gut wissen, daß wir unsere Jugend immer zum Ende des gerade durchlebten Jahrzehnts ausdehnen, wie ein Mann, der ständig die Abzahlung eines ihm gewährten Darlehens hinausschiebt), und in diesem Zustand von Melancholie, Verzweiflung, bedrückender Empfind sam keit für die sinnlichen, romantischen Aspekte des Lebens: grüne Schulhöfe, Baumgruppen über dem Meer, Gesichter, Freundschaften, lange Essen, im Som mer Eistee, kurzum alles, was Princeton und seine glück lichen Sommer ihm bedeutet hatten – kompliziert durch die Tatsache, daß jetzt von ihm gewisse Dinge erwartet wurden (zu heiraten, eine Karriere zu begin nen, der Welt zurückzugeben, was er von ihr bekom men hatte), traf er auf die Gestalt, deren Freundlich keit, deren Schönheit ihm als magische Brücke zwi schen seiner Jugend und der nächsten Phase seines Lebens erschien.
Malones Abschiedsworte waren für ihn Gegenstand der schmerzhaftesten und erschöpfendsten Interpreta tions versuche: Was hatte Malone gemeint, als er sagte „Me l d’ dich mal wieder“? Oder schlimmer „Auf Wie der sehen“? Oder, noch schlimmer, nicht einmal sein Gehen bemerkt hatte? Malone erwiderte seine Anrufe nicht. John blieb den ganzen Tag in der Wohnung sei nes Onkels in der East End Avenue, in der Hoffnung auf einen Anruf von ihm. Malone war immer mit anderen ausgegangen; aber wenn Malone mit ihm zu sam men war, war ihre Zeit geheimnisvollerweise so bewegend für John, daß er danach stundenlang gedan ken verloren dalag und in der Erinnerung an ihn schwelg te. Das Telefon klingelte nicht. Auch Suther land ignorierte ihn. Er schien John abwechselnd mit Ein ladungen zu überschütten, und ihn völlig allein zu lassen. Schließlich fing er an, an die Lower East Side zu fahren, unter dem Vorwand, antiquarische Bücher zu kau fen oder einen Film anzuschauen, und hoffte, er kön ne Malone vielleicht zufällig begegnen, wenn er vom Zeitungsstand in sein Zimmer zurückkehrte. Das ist das Stadium der Liebe, das am meisten erniedrigt und schmerzt. Eines warmen Frühlingsabends, als Malone aus der Stadt nach Bucks County zu einer Abend einladung gefahren war, marschierte John zum St. Marks Place hinunter, nachdem er sich zum ersten Mal in seinem Leben auf einer Einladung seines Onkels be trun ken hatte, und kreuzte, immer noch mit schwarzer Fliege, in dem kleinen Park an der Fif teenth Avenue auf.
Wie ein kleiner Junge, der eine Kathedrale betritt und nicht weiß, ob er seine Hand ins Weihwasserbecken tau chen soll oder nicht, blieb er etwas am Eingangstor stehen und begann dann, mit einem ängstlichen Ge sicht langsam auf und ab zu wandern. Er wußte, daß Malone manchmal herkam, um eine Zigarette zu rau chen. Er wollte nicht so wirken, als suche er nach Malone – er wollte auf keinen Fall, daß Malone merkte, wie sehr er litt –, aber zugleich hoffte er
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