Taenzer der Nacht
singen beginnen, und er, noch auf den Knien, von dem Schwanz, den er gerade lutschte, aufschaut zum Licht wie ein Mann, der in einem dunklen Schlafzimmer fickt, wenn plötz lich die Tür aufgerissen wird. Bis zu diesem Moment war es der ideale Ort, die juckende Wunde der Geilheit immer wieder aufzureißen – die vollkommene Höhle, sich die Wunden zu lecken –, denn die Hälfte der Lam pen funktionierte nicht, und im Schatten der Bäume hier war es sehr, sehr dunkel.
Wir saßen an einem heißen Augustabend auf unserer üblichen Bank und sahen die verschiedenen Typen kom men und gehen. Wir hatten Malone und Suther land seit Wochen nicht gesehen und nahmen an, sie seien zu ihrem Glück auf Fire Island. Es wehte kein einziges Lüftchen und die Hefe des Lebens ging in den Büschen auf. Gegen ein Uhr kam ein Mann herbei, setz te sich auf eine Bank neben unsere und fing mit der schmachtenden Modulation eines Möchtegern-Nacht club-Sängers an, Stücke von Cole Porter und Rodgers and Hart zu singen. ,, I ’ve got you ... under my skin“, sang er so laut, als ob er versuche, bis zu den Ba l konen hoch und bis zu den entferntesten Tischen des El Mo roc co gehört zu werden, ,,1’ve got you ... deep in the heart of me.“ Und nach ein paar Liedern riefen die Schwar zen, die auf den Bänken weiter unten würfel ten, „Halt die Klappe!“, aber er sang einfach weiter aus seinem ausgedehnten Repertoire. Er sang über ein New York City, das viele Straßenzüge und viele Jahre entfernt war von dem Ort, an dem wir gerade saßen – und unsere eigene Musik machten, als er endlich ge gan gen war, die wunderschöne Musik der Reue, die zu einem Brausen anwuchs, wie die Musik der Zikaden im hohen Sommergras:
„Aber wofür leben wir eigentlich?“ fragte ein Mann unglücklich, der einen Pornoladen am St. Marks Place führte. „Ihr müßt doch zugeben, es gibt eigentlich kei nen Grund, auch nur irgend etwas zu tun! Wir haben genau das gleiche Lebensziel wie diese Bäume.“
„Aber mit dem Kopf wirst du auch nie einen Lebens zweck finden“, sagte der nächste. „Er muß von Herzen kommen. Es gibt keinen Grund an sich zu leben. Man muß die Dinge aus dem Herzen heraus, nicht vom Kopf aus angehen. Es gibt einfach keinen Grund zu leben.“
„Genau“, sagte ein anderer. „Und ist nicht überhaupt die Idee, unsere Vernunft zu gebrauchen, die unver nünf tigste Sache von allen?“
„Das war wirklich noch einfach“, seufzte der nächste, „als es nur darum ging, eine Eins im Examen zu errei chen. Darin war ich wirklich gut, aber jetzt, wo es nicht mehr damit getan ist, Musterschüler zu sein ... “, und er verstummte.
„Habt ihr gestern nacht Frank Gilbert im Flamingo ge sehen? Er hat sich den Körper rasiert“, sagte jemand und brachte unsere philosophischen Höhenflüge wie der auf den Boden, indem er unseren Weltschmerz mit der konkreten Anziehungskraft des Klatsches bannte. „Und seinen Bauch eingeölt. Er sah unglaublich aus!“
„Jemand erzählte mir, daß er sich nie den Arsch wäscht, sondern absichtlich dreckig ausgeht. Na, das ist vielleicht ein Selbstvertrauen! Und damit kommt er auch noch durch!“
Und so plätscherten sie munter weiter, wie Zikaden, wie Grillen, die in den Sommernächten ihre Beine an einander reiben, ein Quartett, das die Streichmusik der Wehmut spielte – der Wehmut über Orte, die sie nicht gesehen hatten, Entscheidungen, die sie nicht getroffen hatten, Männer, mit denen sie hätten schlafen wollen –, bis Malone im westlichen Tor auftauchte und sich mit seiner Zigarette zu uns setzte. „O Gott, bin ich er schöpft“, sagte er. „Ich komme gerade von zwei Einl ä u fen und einem Faustfick!“
„Und, wie war’s?“ fragte jemand, der jetzt seit zehn Jahren ohne Erfolg Romane schrieb. „Wer waren deine Kunden?“
Und Malone, der wußte, daß der Typ einen Roman über einen homosexuellen Callboy schreiben wollte, er zähl te ihm geduldig, welche Fantasien er heute Nacht erfüllt hatte. Er selbst sah so frisch wie immer aus, wie er da in der brütenden Hitze saß, während die von den Abgasen der vorbeifahrenden Autos schwere Luft sich auf unsere Haut legte wie dumpfe Handtücher in einem billigen Badehaus. Er trug immer weiße Hosen und ein hellblaues Polohemd, und er fragte immer, wie unser Tag gewesen war: unser Tag! Unser immer gleicher kleiner Tag! Voll der dümmsten Bana li täten! Er war wie der Offizier, der nach der Schlacht die Amputierten im Lazarett besucht, und
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