Taenzer der Nacht
‚ Bombay im Juli’, alles gab es schon, Liebling, und wir können doch nicht wie irgendein Künstler, der unter der Last der Tradition all derer vor ihm, wie der Romancier, der nach Proust, Joyce und Thomas Mann schreiben muß ... wir haben eben nur eine eingeschränkte Auswahl, zu schweigen von der knappen Zeit von zwei Wochen. Ach“, sagte er, während ein Typ aus den Büschen auf tauchte und sich den Reißverschluß seiner Lederhose hochzog, „es tut so gut, zur Urquelle zurückzukeh ren“, und er schaute umher auf die dunklen Gestalten, die sich zwischen den Beinen herumfummelten, „und uns an den ursprünglichen Mysterien und Riten zu stär ken, um die in Wirklichkeit doch unser ganzes Leben kreist. Das allein ist es.“ Und er setzte sich zurück, um das Leben in unserer Lagune in Ruhe zu betrachten.
„Ich gehe nicht hin“, sagte Malone. „Ich will nie wie der dort hinfahren.“
„Es ist doch nur für eine Nacht, mein Lieber!“ sagte Sutherland atemlos. „Nur kurz auftauchen, mein Süßer, und dann mit John abhauen. In Wirklichkeit wird doch die ganze Party nur gegeben, damit ihr beide sie verlassen könnt. Diese enorme Masse von Leuten findet sich zusammen, damit ihr zwei beiden dann umso lieber allein seid. Verstehst du? Diese Party wird wirklich nur gegeben, damit ihr beide sie ver las sen könnt.“
„Mein Gott“, stöhnte Malone, warf seine Zigarette weg und stand auf. Er drehte sich zu Sutherland um: „Meinst du nicht, es wäre moralischer, John Schaeffer einfach zu sagen, er soll nach Princeton zurückkehren, in sein Elternhaus in Maine, seine Zimmerflucht, und diesen Affentanz vergessen? Er wird doch hier nie fin den, was er sucht, und man könnte es ihm auch ruhig vorher sagen. Schau dir doch an, wie weit ich gekom men bin!“
„Ach mein Lieber“, seufzte Sutherland, „würdest du in diesem Moment wirklich ohne alle Reue auf deine allnächtlichen Abenteuer verzichten wollen?“
„Allerdings“, sagte Malone.
„Aber siehst du denn nicht, daß dies alles ist, was man sich erwarten kann?“ fragte Sutherland. „Weißt du nicht, was es bedeutet, eine Frau zu sein? Meine Großmutter wünschte sich noch an ihrem 89. Geburts tag nichts anderes, als die Straße hinabzuwandeln und von allen bewundert zu werden!“
„O Gott“, sagte Malone.
„Es werden zwei Salsa-Bands auftreten“, sagte Suther land und zog ihn mit fort, „und morgen stellen wir die Gästeliste zusammen, ganz geheim natürlich. Ich will sie auf zweitausend ganz intime Freunde be gren zen ... mit Türstehern und numerierten Einladun gen ... “, sagte er, während sie aus dem Park hinaus wan derten; Malone starrte auf den Boden. Auf einmal begannen die ersten Vögel mit ihrem Lärmen, und als Malone und Sutherland in der deprimierenden Weite der Second Aveue verschwunden waren, wurde der Himmel langsam hell und ließ die fahlen, verwüsteten, ganz alltäglichen Gesichter nicht mehr geheimnisvoll oder verlockend erscheinen. Es war, als ob jemand den Stöpsel eines Spülbeckens herausgezogen hätte: das grün liche Wasser war weg, und die fauligen Reste kleb ten am Rand. Innerhalb von fünf Minuten war der Park leer, und dann kam ein Sonderling mit Leiter und Eimer und ging reihum zu jedem Baum, um ganz unschuldig und freiwillig die Eichhörnchen zu füttern.
8
E nde Juni war es in diesem Sommer schon sehr heiß, und selbst Tunten, die sich überhaupt nichts aus Tanzen machten, waren mit Tamburinen nach Fire Is land gekommen. Die Stadt war völlig verlassen, und Sutherland hatte in Pines ein Haus gefunden, das einer italienischen Prinzessin gehörte, deren Mann einmal ein Liebhaber von ihm gewesen war. Selbst als er in seinem ersten Sommer in New York von der Sozial hilfe lebte, gelang es ihm – wie so vielen anderen in der gleichen Notlage – die alljährliche Völkerwanderung nach Fire Island mitzumachen; es war völlig egal, wie man dort hinkam, wer man war, oder wo man herkam. Er sah gut aus; er war unterhaltsam; er wurde aufge nom men, wenn er auch bald darauf zu den geruh sameren Weidegründen von East Hampton überwech selte. Aber es lag ein Zug in seinem Charakter, der ihn immer wieder nach Fire Island zurückbrachte. Nur dort konnte er in einer Nonnentracht hinunterspa zie ren, um die ankommenden Boote zu empfangen, nur dort konnte er zweihundert enge Freunde auf einen Drink einladen und sie zusehen lassen, wie er seine Lacoste-Hemden verbrannte. Nur dort konnte er bei Sonnenaufgang auf der
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