Täuscher
Schinder am 1 . 4 . 1922 vormittags bei ihr in der Wohnung gewesen war. Auf Nachfragen erklärte sie, eine Verwechslung sei ausgeschlossen. Täuscher habe auf sie keinen guten Eindruck gemacht. Auf den Mord angesprochen, sagte sie, dass Schinder einer solchen Handlungsweise fähig sei, glaube sie nicht. Für »den anderen« – Täuscher – könne sie nicht sprechen. Ihren weiteren Ausführungen zufolge sei ein großer Teil der Schuld, dass es mit Schinder so weit gekommen sei, seinem schlechten Umgang zuzuschreiben. Er verkehre schon seit längerer Zeit mit wenig vertrauenswürdigen Personen. Nähere Angaben hierzu konnte sie nicht machen. Schinder suche eben diese Leuten vor ihr weitgehend zu verheimlichen, weil er wusste, dass Priegl der Verkehr des Schinder mit diesen Personen nie recht gefallen habe. Die Zeugin wörtlich: »Dem Luck wurden von dieser Seite her Flausen in den Kopf gesetzt. Mehr als einmal habe ich den Satz gehört: ›Wer wird denn so dumm sein und arbeiten?‹«
Es würde sie aber nicht wundern, wenn auch Täuscher in irgendeinem Bezug zu diesen Kreisen stünde.
Ihr wiederholtes Drängen, von solchen Leuten Abstand zu nehmen, habe Schinder brüsk von sich gewiesen, er sehe gar keinen Grund darin, nachdem es ihm jetzt gutginge.
Sie selbst würde es nicht wundern, wenn als Urheber der ganzen Sache eben jene Personen in Frage kämen, seien sie doch ihres Dafürhaltens die Drahtzieher hinter dem Verbrechen. Täuscher stehe bestimmt in engem Kontakt mit diesen; der Eindruck, den er bei ihr hinterließ, lege das nahe. »Ein anständiger Mensch hält da doch Abstand.«
Auf mehrmaliges Nachfragen gab Priegl noch zu Protokoll, dass Täuscher gelegentlich der Übergabe der verpackten Schachteln gesagt habe, sie, Priegl, solle alles gut aufheben. Er, Täuscher, würde zu gegebener Zeit kommen und die zur Verwahrung gegebenen Sachen wieder abholen. Etwas verwundert habe sie noch das Ersuchen des Schinder an sie, den Schrankschlüssel abzuziehen, »damit niemand darüberkomme«. Der Priegl fiel dies auf, worauf sie die Bemerkung machte: »Ja, wo habt ihr denn die Sachen gestohlen?« Beide hätten sich dann gegenseitig angesehen und höhnisch gelacht. Die Zeugin fasste dieses Lachen so auf, als hätten sie damit sagen wollen: »Wenn du nur wüsstest!«
Weitere Angaben, die zur Klärung beigetragen hätten, konnte sie nicht machen.
Von besonderer Wichtigkeit dürfte sein, dass Täuscher es war, welcher der Priegl das selbstverpackte Paket zur Aufbewahrung übergeben hat, sowie seine Eindringlichkeit, mit der er auf einer sorgfältigen Verwahrung der der Priegl anvertrauten Schachteln beharrte.
An dieser Stelle ist anzumerken, dass in dem in der Wohnung aufgefundenen Paket sich auch die beiden Brillantohrringe mit Smaragd befanden, welche eindeutig als Eigentum der ermordeten Tochter Ganslmeier erkannt wurden und sich auch am Tattag noch in deren Besitz befanden. Somit steht Täuscher im dringenden Verdacht, der Haupttäter zu sein, da er durch seine Beziehung zur Ermordeten Zugang zu Wohnung und Schmuck hatte und mit Sicherheit auch über den Wert informiert war.
Es wird zum gegenwärtigen Zeitpunkt ermittelt, ob sich noch weitere Gegenstände, von denen wir bislang keine Kenntnis besitzen, im Umlauf befinden. Die Erhebungen werden fortgesetzt.
Gez. Hochberger
Kriminal-Sekretär
Johann Huther legte den Bericht wieder zurück in die Akte, klappte den Deckel zu, den Vorgang selbst legte er in die Ablage. Er blickte erneut auf seine Uhr, jetzt war es Zeit zum Heimgehen. Wie jeden Tag, ehe er seinen Schreibtisch verließ, räumte er penibel alles wieder an seinen Platz zurück, vergewisserte sich anschließend, ob er auch nichts vergessen hatte. Es war weniger Pflichtbewusstsein, es graute ihm davor, zu zeitig zu Hause zu sein. Der zahnende Säugling, die beiden größeren Kinder immer zankend und greinend, der Lärm, die Enge der Wohnung, dies alles setzte ihm im Moment von Tag zu Tag mehr zu. Er zog es darum vor, seine Verrichtungen in die Länge zu ziehen und erst nach Hause zu kommen, wenn die Kinder allesamt schon im Bett lagen. Auf dem Nachhauseweg schlug er kleine Umwege ein, machte Besorgungen, die auch hätten aufgeschoben werden können. Er fühlte sich schuldig dabei, als würde er etwas Verbotenes tun oder bei einer Lüge ertappt werden, und doch waren es gerade diese kleinen Ausflüchte, die ihm die letzten Tage etwas erleichtert hatten.
Dienstag, 11 . April 1922 ,
München,
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