Täuscher
das falsche Stück in den Mund gesteckt hatte. Anna Priegl hatte laut lachen müssen. »Wie ein Gockel ohne Kopf.«
Als wenig später Luck die anderen Schmuckstücke zu einem Paket verschnürt hatte, zitterten die Hände des Täuscher immer noch so sehr, dass er nicht in der Lage war, seinen Finger ruhig auf den Knoten zu legen, damit Schinder die Schnur hätte festziehen können. Nicht einmal beim Versiegeln konnte er dem Luck helfen. Aber auch der stellte sich nicht besonders geschickt an; so war sie es am Ende, die das Siegelwachs auf die Schnur träufelte, und sie war es auch, die den beiden sagte, sie sollten ein Fünfzigpfennigstück als Siegel nehmen.
»Männer. Keinen Sinn fürs Praktische!«
Über all das hatte sie bei der Vernehmung geschwiegen. Sie hatte so schon genug am Hals, sie wollte nicht noch mehr hineingezogen werden.
Noch keine zwei Stunden war es her, da hatte ihr einer von den Freunden vom Luck im Stiegenhaus aufgelauert. Sie war gerade die steilen Treppen zu ihrer Wohnung hochgestiegen, und als sie den Schlüssel ins Schloss steckte, sprang der Unbekannte von hinten im Halbdunkel des Stiegenhauses auf sie zu. Sie hatte ihn vorher weder gehört noch gesehen. Er drückte sie gegen die Tür, lehnte sich so fest mit dem ganzen Körper gegen sie, dass sie sich nicht bewegen konnte. Und dann ging das Licht im Stiegenhaus aus. Mit seinem Gesicht kam er so nah an sie heran, dass sie seinen Atem spürte.
»Du bist doch dem Schinder sein Gspusi? Sag ihm, ich brauch die restlichen Sachen. Ich weiß, dass die Polizisten nicht alles gefunden haben. Ich brauch das restliche Zeug, den Schmuck und alles, was er noch hat. Sag das deinem Tschamster, sonst kann es ungemütlich werden für ihn. Gerade da, wo er jetzt ist. Geschäft ist Geschäft, wir halten unser Wort, und wenn er uns hilft, helfen wir ihm.«
Er ließ sie los und rannte die Treppen hinunter. Anna Priegl wartete still, bis sie unten die Tür in Schloss fallen hörte, dann erst sperrte sie die Tür auf.
Mittwoch, 12 . Juli 1922 ,
Volksgericht Landshut,
dritter Verhandlungstag,
8 Uhr morgens
Der Sitzungssaal ist wie an den Tagen zuvor bis auf den letzten Platz gefüllt. Draußen, vor dem Gebäude, warten die Schaulustigen, in der Hoffnung, doch noch eingelassen zu werden oder zumindest einen Blick auf die am Prozess Beteiligten werfen zu können. Täuscher erscheint wie immer elegant gekleidet, sein Gesicht ist sehr blass. Schinder gibt sich unbefangen, grüßt überschwänglich seinen Bekannten vom Vortag, scherzt mit den Justizbeamten, würdigt Täuscher, nur zwei Plätze neben ihm sitzend, keines Blickes.
Die Verhandlung wird wieder aufgenommen und die Vernehmung der Zeugen in rascher Folge fortgesetzt.
Als Erste wird Frau Hauptlehrer Stimmelmeyer aufgerufen.
»Ich habe dem Fräulein Ganslmeier die Klavierbegleitung für die rhythmische Sportgymnastik vermitteln können. Clara Ganslmeier wollte die Stelle unbedingt, sie hat mich schon vor einiger Zeit mehrfach darauf angesprochen. Immer wieder hat sie nachgefragt, ob ich ihr diesen Nebenverdienst verschaffen könnte. Mir war es fast schon peinlich, so sehr hat sie mich gedrängt. Sie können mir glauben, wie erleichtert ich war, als ich ihr die Stelle doch noch vermitteln konnte. Am Donnerstag, den 30 . März, hätte sie uns das erste Mal begleiten sollen, aber sie kam nicht. Wir haben von sechs bis acht Uhr auf sie gewartet. Ich war schon sehr verärgert, ich habe mir noch gedacht: ›Wie undankbar, erst rennt sie einem Tür und Tor ein, und dann das.‹ Im Nachhinein schäme ich mich für diese Gedanken, sie war ja zu diesem Zeitpunkt bereits tot, konnte doch gar nicht kommen. Ich habe so ein schlechtes Gewissen deswegen, es ist mir unangenehm.«
Optiker Steinherr gibt an, dass die Ganslmeier am 30 . März zwischen drei und vier Uhr eine elektrische Taschenlaterne zur Ergänzung einer Batterie in den Laden hereinreichte und, da er gerade einen Kunden bediente, mit den Worten »Ich habe es eilig« wieder fortging.
Schäffler Jakob Gstettenbauer begegnete dem Täuscher um halb sechs Uhr, »vielleicht auch etwas früher«, beim Café Thalia; ob dieser in Begleitung war, könne er aber nicht sagen.
Die Unterzahlmeistersgattin Johanna Schmidt wohnt unter der Familie Ganslmeier. Sie hörte am Nachmittag des 30 . März zwischen fünf und halb sechs Uhr ein schleifendes Geräusch und Rufe.
»Zuerst hielt ich es für Scherzen und Lachen. Oh mein Gott, wenn ich mich daran erinnere,
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