Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde
zeugten von der gleichen Verbissenheit desjenigen, der hier geputzt hatte. Das Holz des Fensterbrettes war an der Oberfläche sogar niedergeschnitzt worden. Sonst trug das Zimmer keine Anzeichen für einen Kampf, und wenn Gallagher sich an das Türschloss erinnerte, sah jenes ebenfalls unbeschädigt aus.
Zarah kaute auf ihrer Unterlippe. »Es hätte natürlich auch mein Erzeuger gewesen sein können.« Sie legte die Haarklemmen beiseite. Die Ränder der Wunde zogen sich zusammen. »Vielleicht hat er sie umgebracht, als sie ihn abermals nicht hat gehen lassen wollen.« Sie räusperte sich und sah sich nach Gallagher um. Er kauerte neben einer Kommode und schien etwas zu untersuchen. Mit ihrem Turnschuh, den er in der Hand hielt, tippte er sich völlig in Gedanken versunken an die Schläfe.
Ein Denker. Bald sicherlich wieder der Besserwisser. Ihr Gallagher.
Sie schaute ihn an und liebte ihn, wollte ihn lieben. Atemlos, bedingungslos, egal ob blond oder mit Diamantglanz.
Während neben ihr die Leiche ihrer Mutter lag, sie diese betrachtete und … nichts spürte. Wie konnte das sein? Dass sie sich einbildete, für einen Menschen etwas zu empfinden, was sie ihrer Mutter verwehrte?
»Zarah?«
Gallagher kam auf die Beine und brachte ihr den Turnschuh. Zarah zog sich das ausgelatschte Ding an und mied seinen Blick.
»Zarah? Ich glaube, ich habe da eine Idee.« Er zögerte. Sie saß so verloren und in sich zusammengesunken da. »Zarah?«
Sie bewegte die Schultern, als hätte der Klang ihres eigenen Namens sie unangenehm berührt, sich zu viel erlaubt. »Hast du geweint, Gallagher? Damals? Als du es erfahren hast?«
»Ich verstehe nicht ganz, was du meinst.«
»Warst du traurig? Verzweifelt? Wütend?«
»Erfahren – was?«
»Dass deine Mutter von dem Formwandler getötet worden war.«
Ihre Brust hob und senkte sich. Sie atmete. Er musste es auch, schnappte nach Luft, suchte nach einem Ausweg aus der Enge, die ihn umschloss. »Zarah, wir haben doch noch überhaupt keine Indizien dafür gefunden, dass deine Mutter auch …«
»Ich will wissen, was du gefühlt hast! Bitte.«
»Ich … ich war im Dienst. Es war so abgemacht, mit …« Ashriel. Verdammt, beinahe hätte er zu viel gesagt. Er wollte überhaupt nichts sagen – und hörte sich doch reden. »Ich war im Ordnungsamt, um eingreifen zu können, wenn etwas schiefläuft. Und es ist schiefgelaufen. Ich musste handeln, ein paar Daten manipulieren, damit es nach einem Noteinsatz aussah und du schnell Hilfe bekamst. Was genau passiert ist, habe ich erst gar nicht realisiert. Erst später, auf dem Weg nach Hause, ist es mir klar geworden. Meine Mutter war tot. Die Frau, die ich gesucht und gefunden hatte, die mir eine richtige Familie geschenkt hatte, mich … Sohn genannt und es auch so gemeint hatte. Fort. Für immer. Ich weiß noch, wie ich in der nächstbesten Bar gelandet bin und mich volllaufen ließ. Der Schmerz war betäubt, ich – wie gelähmt. Etwas später habe ich erfahren, dass es zumindest meiner Schwester gut ging und sie in der Toten Stadt heil angekommen war. Sie brauchte mich. Es musste weitergehen. Irgendwie.« Die Worte endeten. Er wusste kein einziges mehr. Sie schwiegen beide.
Dann sagte sie: »Ich bin eine Dämonin.«
Ein Gespräch wie ein Rodeo, das kannte er gut von ihr. Aber zumindest kamen sie vom Thema ab, für das es keine Worte mehr gab.
»Eine Dämonin, so. Ich wüsste keinen Grund, warum es mir entfallen sein sollte. Und weißt du was? Es ist mir egal. Was ich mache, wofür meine Leute kämpfen – wir haben keinen Völkermord an den Dämonen im Sinn, wir hegen keinen Hass auf alles, was einen Funken Magie in sich trägt. Wir wollen nur … Freiheit. Verstehst du?«
»Schon. Aber du verstehst nicht. Ich bin eine Dämonin, ich glaube, ich kann nichts fühlen. Zumindest nicht richtig. Nicht wie du.« Sie deutete auf die Sirene, dann ballte sie die Hand und drückte sich die Faust gegen die Brust. »Ich sehe das hier und fühle – nichts. Es ist kein Kummer in mir. Stattdessen sogar ein bisschen Erleichterung, weil ich mir keine Sorgen mehr machen muss, wie sie in ihrem Zustand ohne mich klarkommen soll. Wie kannst du da sagen, dass du mich liebst? Mich! Die ich nicht einmal um meine tote Mutter trauere.«
»Ach Zarah.« Nun setzte er sich doch zu ihr, umarmte sie. »Lass mich dich doch einfach lieben. Und was das andere angeht – du hast dir Sorgen gemacht. Das ist um einiges mehr als das, wozu manch anderer Dämon imstande
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