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Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde

Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde

Titel: Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O Krouk
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prasselten gegen die verwischen Spuren. Im Nu breiteten sich die Buchstaben aus, wurden zu Wörtern, Sätzen.
    Angst haben wir alle. Der Unterschied liegt in der Frage wovor.
    »Was treibst du da?«, donnerte eine tiefe Stimme aus der Vergangenheit. Er weiß, was er gemacht hat, was er nicht hätte machen dürfen. Er hat die Bodenleiste unter dem Bett mit Menschensprüchen beschrieben, die ihn bewegt haben.
    Die tote Sirene hatte auch die Wände beschrieben. Auch sie hätte es nicht machen dürfen.
    »Wenn ich dich noch einmal dabei erwische …« Ein Schlag reißt ihm den Boden unter den Füßen weg. Der Bleistift, mit dem er die Schandtat begangen hat, rollt zur Seite. Die Dämonenfinger schließen sich um sein Handgelenk, brechen ihm die Knochen. »Wenn ich dich noch einmal dabei erwische …« Es ist kein Zorn in dieser Stimme. Es ist pure Angst.
    Angst haben wir alle.
    Andere Sprüche treten hervor.
    Eine neue Art von Denken ist notwendig, wenn die Menschheit weiterleben will.
    Er kann nicht mehr denken.
    Er kann nicht mehr.
    Wie es in dieser Welt hergeht: Ein Auserwählter unter Zehntausenden sein.
    In der verschwommenen Welt sieht er die Magie selbst. Die ein bekanntes Gesicht trägt. Er weiß, er muss auch diese Erscheinung kennen. Aber er kann nichts mehr. Ein Auserwählter unter Zehntausenden …
    Gesellschaftliche Veränderung fängt immer mit Außenseitern an, die spüren, was notwendig ist.
    Was ist denn notwendig? Was? Die Erscheinung lächelt ihm bloß zu.
    Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.
    »Gallagher, Schluss jetzt! Hörst du mich?«
    Ein Gesicht taucht vor ihm auf. Er kennt es nicht. Aber er liebt es. Er nennt das Gesicht Zarah und findet, dass der Name zu diesen Zügen sehr gut passt.
    »Gallagher, aufhören!«
    Was die Raupe Ende der Welt nennt, nennt der Rest der Welt Schmetterling. Die magische Schrift wuchert empor, kriecht über die Wände und den Boden zu ihm.
    Seine Hand wird verbunden. Das Blut tropft nicht mehr, splittert nicht mehr. Die Erscheinung steht immer noch da, hebt die Hand und schnellt mit den Fingern, als würde sie ein Dominosteinchen umkippen. Gallagher weiß, dass er untergehen wird. Die Erscheinung lächelt ihm zu, schüttelt den Kopf. Das Zarah-Gesicht über ihm tut es auch.

2 5
    Zarah wusste nicht, wie sie ihn aus dem Haus gebracht und den ganzen Weg zum Boot geschafft hatte. Seine Hand hatte sie mit einem Streifen von ihrem Top verbunden und das Ritual damit unterbrochen. Dennoch tränkte immer noch schwarzes Blut den Stoff. Die Magie hielt ihn gefangen, als würde sie ihm folgen.
    Er stand zwar aufrecht, schwankte jedoch wie unter Drogen, und würde er stolpern, käme er vielleicht nicht mehr auf die Beine. Sie sah ihm in die Augen, schüttelte ihn, rief seinen Namen, doch alles, was er von sich gab, war ein undeutliches, monotones Rezitieren: » Angst haben wir alle. Der Unterschied liegt in der Frage wovor. Eine neue Art von Denken ist notwendig, wenn die Menschheit weiterleben will … «
    Sie konnte es kaum noch ertragen. Obwohl sie durch das Brandmal vollkommen magietaub war, schienen seine Worte unter ihrer Haut wie Tausendfüßler zu kribbeln. Sie redete ununterbrochen mit ihm, aber dort, wo er verweilte, existierte sie nicht. Seine glasigen, fiebrigen Augen suchten stets nach ihrem Gesicht, doch wenn sie den Blick erwiderte, erreichte sie ihn nicht.
    Zarah brachte ihn zum Boot. Das Boot brachte sie zum Schiff und das Schiff – nach Dagebüll. Vom Kapitän bekam sie eine dünne Kette aus Eisen. Doch entweder war das Eisen nicht rein genug oder die Magie in seinem Körper zu stark verwurzelt, um aus ihm zu weichen. Das Metall reizte seine Haut, bis sie es nicht mehr mit ansehen konnte und ihm die Kette abnahm.
    Sie würde ihn in die Tote Stadt bringen.
    Und es würde nicht zu spät sein!
    Viele Stunden Fahrt, aber nicht zu spät.
    Zarah stammelte es vor sich hin, wie Gallagher immer wieder seine Litanei stammelte, tief versunken, im Nichts.
    Er war versunken.
    Doch keineswegs im Nichts.
    Die Erscheinung, die er bei dem Ritual erblickt hatte, begleitete ihn auch jetzt im Auto, das Zarah die Landstraßen entlangjagte.
    Wer bist du? , fragte er, sah jedoch das Zarah-Gesicht an und hatte Angst, die Augen zu schließen und es in der Schwärze zu verlieren, die ihm langsam, aber unaufhörlich die Sicht raubte.
    Das weißt du. Und es ist nicht das, was du tatsächlich wissen wolltest.
    Das Zarah-Gesicht sagte etwas zu ihm. Er hätte es gehört, gespürt, wäre

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