Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde
ist.«
Sie lehnte sich an ihn. »Danke.« Dann, beinahe widerstrebend, schlüpfte Zarah aus seiner Umarmung. »Was für eine Idee hattest du denn vorhin? Du wolltest mir etwas sagen.«
»Ja, genau.« Gallagher rieb sich die Stirn. »Hm. Also. Kommt es dir nicht auch so vor, als hätte sich hier jemand bemüht, Spuren zu verwischen? Die Kommode wurde mit Sandpapier bearbeitet. An der Bodenleiste fand ich Kratzer, die verdächtig nach Buchstaben aussahen. Was ist, wenn hier etwas geschrieben stand? Etwas, was dem Mörder vielleicht hätte gefährlich werden können.«
»So viel zum Thema ›keine voreiligen Schlüsse‹?« Sie betrachtete den Raum, kniff die Augen leicht zusammen, als auch ihr die Spuren auffielen. »Mag sein, du hast recht. Aber wir haben überhaupt nichts bei uns, was uns irgendwie helfen könnte, das Vernichtete sichtbar zu machen. Falls so etwas überhaupt möglich sein sollte.«
»Wir haben Magie. Dies ist ja nicht die Tote Stadt, hier funktioniert sie.«
»Magie?« Sie tastete unwillkürlich nach ihrer Narbe, streckte die Finger aus und verdeckte die Stelle mit der Hand. »Die ich nicht nutzen kann.«
»Was ist mit mir?«
»Du. Genau.« Sie klopfte ihm auf die Schulter. »Ich erinnere dich sehr ungern daran, aber du bist ein Mensch. Keine Ahnung, wie magieempfänglich du bist, aber Menschen sind grundsätzlich wie ein Sieb. Die Magie geht durch sie hindurch und hinterlässt kaum Energie, die einen Zauber speisen könnte. Von den zu erwartenden Nebenwirkungen ganz zu schweigen. Ich habe schon Menschen gesehen, die nach einem komplizierten Ritual einen Hirnschlag bekommen haben. Kein schöner Anblick, glaub’ mir. Das, was du vorschlägst, ist keine gute Idee. Es ist sogar eine ganz und gar idiotische Idee.« Mit einem Schnauben stieß sie die letzte Luft aus ihrer Lunge. Wie kam er bloß auf den Gedanken, so etwas vorzuschlagen? Der Versuch könnte ihn zerstören. Den Menschen in ihm vernichten. Denn sie hatte schon so viel gesehen, Menschen, die für die Magie nach und nach ihre Seele gegeben hatten und zu Dämonen wurden. »Nein. Du wirst es nicht tun! Ende der Diskussion.«
»Denke doch darüber nach.«
»Tue ich. Du aber anscheinend nicht. Ist dir überhaupt klar, wie viel Energie du bräuchtest, um das hier wiederherzustellen?«
»Zarah, mein Fluch! Ich bin von geballter Energie umgeben. Die würde den Zauber speisen.«
Jetzt wurde ihr wirklich schlecht. »Das wäre der reinste Selbstmord! Das könnte den Fluch aktivieren.«
»Nicht zwangsläufig.«
»Woher willst du das wissen?«
»Friedbert ist es zwar nicht gelungen, den Fluch aufzuheben, aber ihn sehr weit aufzuschieben. Hat er zumindest gesagt. Wenn ich die Energie nutze, rückt der Fluch womöglich näher, aber ich glaube nicht, dass er mich sofort trifft. Du solltest allerdings dabei sein, damit du es dir ansehen kannst, sobald hier etwas sichtbar wird. Denn wenn ich einen Zauber wirke, ist es beinahe so, als würde ich mich besaufen – danach habe ich einen Filmriss.«
»Vergiss es! Außerdem ist die Magie im Moment eh launisch, nicht einmal Dämonen können sich auf sie verlassen.«
»Einen Versuch ist es wert. Und ich werde es tun, mit deiner Zustimmung oder ohne. Soll ich die Sirenen oder den Meermann als Zeugen bitten?«
Nein, keine Sirenen! Wenn sie ihn verlieren sollte, dann wollte sie wenigstens seine letzten Minuten für sich haben.
»Okay. Ich bin dabei.«
»Wirklich?« Gallagher traute dem Umschwung nicht. »Schön. Vertrau mir. Es wird alles gut, ich verspreche es.«
Zarah straffte die Schultern. Äußerlich wieder ganz Dämonin. »Wie willst du die Magie anlocken?«
»Das brauche ich nicht. Sie ist schon da.« Spürst du sie nicht? Er streckte ihr seine Hand entgegen, fragte es nicht, denn natürlich konnte Zarah es nicht spüren. Die Magie prickelte auf seiner Haut, und wenn sogar er als Mensch die Tausende von Nadelstichen fühlte, war die Kraft in diesem Raum so konzentriert wie selten. Als wäre die Magie eine Person, die gekommen war, um ihn zu beobachten.
Zarah brachte eine Scherbe von der demolierten Vitrine. Die Spitze des Glases zitterte, dicht über seiner Handfläche. Dann ritzte sie seine Haut.
Das Blut sammelte sich auf der Oberfläche. Er neigte die Hand, und ein dicker Tropfen rann herab, löste sich von ihm und fiel zu Boden.
Am Rande seines Sichtfeldes begann die Welt, sich zu verflüssigen. Das Blut tropfte. Schwarz. Zerbrach an den Dielen, und die winzigen Splitter flogen herum,
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