Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde
Kastanienrottönen.
»Hi, Leander«, begrüßte sie den Concierge an der Rezeption, einen aus der Luftwaffe entlassenen Ork. Bereits seit einem Jahr saß er Tag für Tag hinter dem Tresen in schneeweißem Hemd, einer dunkelroten Weste und mit einer ebenfalls dunkelroten Krawatte, die seinen wulstigen Hals einschnürte.
»Serra, Serra«, knurrte der Ork zur Begrüßung. Bei seiner Aussprache klang ihr Name stets nach Süden und Stränden und muskulösen Menschenmachos, die ihre Haut mit Öl einrieben.
»Nachrichten für mich?« Von Ash?
»Bedauere. Ein Apfel zum Trost?« Er deutete auf eine Holzschale mit frischem, wie alles hier glänzendem Obst. »Unglaublich lecker.«
»Nein, danke.« Ihre Mundwinkel zuckten leicht. Während all der Zeit, die sie hier verbracht hatte, hatte sie nie erlebt, dass der Ork mit anderen Mietern je ein Wort über das Nötigste hinaus gewechselt hätte. Doch wenn sie an seinen Tresen trat, schien eine Verbundenheit zwischen ihnen zu bestehen. Und das, obwohl sie in eine Dämonenelite hineingeboren und er wegen gesundheitlicher Probleme zu diesem Dienst degradiert worden war. »Mach’s gut, Leander.«
»Ciao, Serra.«
Ein Privataufzug brachte sie in ihre Penthouse-Wohnung, die sich über zwei Etagen erstreckte und sogar einen Zugang zum Dach hatte, das mit mehreren Kübelpflanzen den Flair eines Gartens vermittelte und über einen kleinen, azurblau strahlenden Pool verfügte.
Die Decke erhellte sich, sobald sie den Aufzug verlassen hatte, und tauchte den Empfangsbereich in natürliches Tageslicht. Auf leisen Sohlen schlich sie durch den Flur und legte ihre Jacke ab. Ein in die Wand eingebauter Monitor erwachte aus dem Stand-by-Modus, und eine künstliche Frauenstimme meldete: »Willkommen daheim, Zarah. Alle Systeme laufen normal. Während deiner Abwesenheit wurden die anstehenden Wartungsarbeiten erfolgreich …«
»Leiser!«
»… durchgeführt«, flüsterte das System. »Nach der Meldung aus dem Krankenhaus wurden erfolgreich Termine für den internen Wellnessbereich und den Fitnessraum reserviert. Der Kühlschrank meldet einen Mangel an Käse und Schinken-Meerrettich-Röllchen in Aspik. Das Verfallsdatum des Schokopuddings wurde vorgestern überschritten.«
»Nachbestellen.«
»Soll die Badewanne vorbereitet werden?«
»Ja, gute Idee. Und: aus!«
Zu Hause. Mit einer Hand stützte sie sich an der Wand ab und beugte sich vornüber. Die schmerzende Wunde entlockte ihr ein Stöhnen. Jetzt nur noch das Sofa erreichen …
»Du bist endlich da.« Die Stimme kam gedämpft, beinahe schüchtern aus dem dunklen Wohnzimmer.
»Enya!« Zarah richtete sich auf und zog an ihrem Pullover, obwohl er den Verband ohnehin gut verdeckte. »Hast du mich erschreckt! Warum bist du noch wach? Hat dich unsere digitale Haushälterin geweckt?«
Das Mädchen erschien im Türrahmen, vorsichtig nach Halt tastend, den sie am Garderobenschrank fand. Die regelmäßigen Magieanwendungen hielten sie aufrecht. Im vergangenen Monat hatte Enya gleich drei davon über sich ergehen lassen müssen, die nächste stand bald bevor. Vorausgesetzt, die noch fehlenden zehn Existenzmarken ließen sich bis dahin auftreiben.
Das kriegen wir schon hin. Das bedeutet doch nur ein paar zusätzliche Schichten.
Und sie muss nicht zurück in den Rollstuhl.
Vielleicht werde auch ich dann ein wenig stärker. Vielleicht ist meine eigene Schwäche nur eine Folge der ihren.
Enya schaute sie aus ihren großen, wachen Augen an. Das Hellgrau der Iris und das Schwarz der dichten Wimpern bildeten einen atemberaubenden, irritierenden Kontrast.
Zarah sah gern in diese Augen, wo andere wegschauten. Ich wünschte mir, die Seele darin würde auf mich abfärben, dann wäre ich gern schwach.
Ach, herrje.Zu welch einem gedanklichen Unsinn Enya sie manchmal trieb! Nicht umsonst riet die Verwaltung des Ordnungsamtes ihr immer eindringlicher dazu, das Mädchen in ein Überwachungslager einzuweisen. Noch blieb es bei diesem Rat, doch sie hörte immer öfter von Fällen, in denen menschliche Zwillinge im Dienst stehender Dämonen einfach abgeführt worden waren. Zur größeren Sicherheit der Diensttuenden, hieß es.
Sie schob die Schuhe, die überall herumlagen, aus dem Weg, und schloss Enya in die Arme. Das spitze Kinn bohrte sich ihr in die Schulter. Zwei Hände stießen ihr vor die Brust. »Nicht so stürmisch.« Enyas warmer, nach Geborgenheit und Erdbeeren duftender Atem strich Zarah über den Hals.
»Verzeih mir.« Sie drückte das
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