Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde
schlimmer.
»Lasst mich in Ruhe!«, brüllte ich, doch die Stimmen verstummten nicht. Ich packte das Kissen und schlug damit um mich. »Verschwindet! Haut ab!«
Ich schleuderte das Kissen durch das Zimmer und traf die Deckenlampe. Die Stimmen schienen diese Verzweiflungstat nicht einmal zu bemerken, redeten weiter auf mich ein, forderten, klagten, tobten.
Ich atmete tief ein und schloss die Augen. Noch nie hatte ich die Zauberei für mich eingesetzt. Ich benutzte sie nur ab und zu, weil ich das Gefühl hatte, die Magie wünschte es sich. Als wäre sie ein lebendiges Wesen, das Gefallen daran hatte, meine Albernheiten zu beobachten. Und mir machte es nichts aus, sie damit zu unterhalten, auch wenn sie manchmal zu ungünstigster Stunde danach verlangte.
Ich bemühte mich, die Stimmen für einen Moment zu verdrängen und mir eine Reihe Klaviertasten vorzustellen. Dann schwang ich meine Arme in die Höhe und ließ die Finger, in denen es bereits zu kribbeln begann, auf die Tasten sinken.
»Was soll es heute sein?«, fragte ich die Magie, von der ich insgeheim hoffte, sie möge mir in meiner Stunde der Not helfen. »Die Mondscheinsonate vielleicht?«
Ich schlug die ersten Töne an. Meine Finger bewegten sich in der Luft, und ich wiegte mich im Takt der Musik, die allein in meiner Fantasie spielte. Eigentlich wollte ich eher eine Luftgitarre beherrschen, vielleicht sogar bei einem Wettbewerb auftreten. Es sah so herrlich durchgeknallt aus. Genau nach meinem Geschmack. Doch die Magie mochte keine Luftgitarre in meiner Ausführung, sie verlangte nach einem Luftklavier. Ausgerechnet einem Luftklavier! Wie peinlich war das denn, bitte schön?
Vermutlich hätte ich mich bei meiner Mondscheinsonate nicht ablenken lassen dürfen. Der Zauber brach. Die Stimmen fielen mit aller Grausamkeit über mich her. Die Hände an die Schläfen gepresst, schrie ich auf, fiel aus dem Bett und wälzte mich auf dem kalten Boden herum.
Die Magie. Ich glaubte sie wie eine ruhelose Seele umherstreifen zu hören. Doch für einen zweiten Versuch mit dem Luftklavier besaß ich keine Kraft mehr.
»Es tut mir leid«, flüsterte ich ihr zu, als würde sie mich verstehen. Ein kalter Schweißfilm bedeckte mein Gesicht, meine Hände zitterten. »Es tut mir so leid.«
Sie würde mich verlassen und womöglich nie mehr zurückkehren.
Aber sie ging nicht.
Und die Stimmen … die gehörten ihr! Es war die Magie selbst, die zu mir sprach!
Verrückt, dieser Gedanke. Ich musste den Verstand verloren haben.
Die Stimmen folterten mein Hirn, und ich fand keinen Ausweg.
Als ich den Blick zum Mond hob, sah ich eine Gestalt auf dem Fensterbrett hocken.
»Es ist also geschehen.« Nur mühsam kämpften sich seine Worte durch das Chaos in meinem Kopf. »Mal sehen, ob du es schaffst.«
Er saß auf dem Fensterbrett, und ich lag da, halb besinnungslos, und die Stimmen ließen mich nicht in Ruhe.
»Hörst du sie schon lange?«
Ich nickte.
Die Gestalt glitt vom Fensterbrett und kniete neben mir nieder. »Gut. Und du bist nicht dem Wahnsinn verfallen. Ich wusste, dass du etwas Besonderes bist.«
Warme Hände drückten meine Ohren zu. Ich hörte einen Zauber nahen und wie die Magie meinem Retter wohlgesonnen etwas zuraunte.
Die Stimmen verklangen nicht, aber sie wurden leiser. Nicht wegen des Zaubers, sondern aus Achtung vor mir. Zumindest glaubte ich das.
Er hob mich hoch. »Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin hier, um dir zu helfen.«
»Was passiert bloß mit mir?«, krächzte ich.
»Wohl eher: mit der Welt. Die Gegenwart, die uns umgibt, ist die falsche. Die Zukunft sieht anders aus, in der Zukunft bist du gottgleich.«
Ich? Ein Gott? Kraftlos schüttelte ich den Kopf. »Ich bin müde. Lass mich.«
»Gewöhn dich dran. Für dich ist ein harter Weg vorgesehen. Doch ich werde dir helfen. Ich werde dir helfen, dein Gefängnis hier zu verlassen und unsere Zukunft zu sein.«
3
Ash rief nicht zurück. Nicht an dem Tag und auch nicht, als sie aus dem Krankenhaus entlassen werden sollte. Inzwischen hatte Zarah aufgehört, seine Nachrichtenbox mit Verwünschungen vollzutexten, und sie sah auch davon ab, ihm einen digitalen Fluch hinterherzuschicken.
So kannte sie ihn nicht.
So war er nicht.
Seit ihrer Aufnahme in die Akademie, als man ihr, einem sechsjährigen Mädchen, zum ersten Mal ihre Schwächlichkeit vor Augen geführt hatte, hatte Ash ihr zur Seite gestanden.
Jetzt hatte sich alles verändert.
Sie wusste noch nicht, was genau und warum, doch
Weitere Kostenlose Bücher