Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde
ein wenig wie der Frontsänger einer Rockband aus, wusstest du das?«
Herrje, so etwas einem Dämon zu sagen – manch einer wurde schon für bedeutend kleinere Vergehen bestraft. Als Zwillingsschwester einer Ordnungsaufseherin überschritt Enya oft Grenzen, die besser gewahrt bleiben sollten.
Auch das hättest du nicht zulassen dürfen. Vielleicht solltest du ihr doch zeigen, wie es da draußen wirklich zugeht.
Zarah zog sich am Waschbecken hoch, bewegte eine Hand vor dem Sensor für kaltes Wasser und wusch sich das Gesicht. Die Spritzer sammelten sich zu kleinen Pfützen auf dem Marmor. Noch einmal atmete sie tief durch, dann schloss sie auf und trat aus dem Bad.
»Was hast du mit dir angestellt?« Enyas Augen weiteten sich – das glänzende Schiefergrau, umrandet von schwarzen Wimpern, die zusammenklebten und an Hummelbeinchen erinnerten. Sie hatte die Tusche benutzt, den klumpigen Rest, den sie schon lange mit Wasser verdünnte. Wann hatte sie es bloß geschafft, die aufzutragen?
»Das war längst überfällig. Das Haar hat mich genervt.« Zarah trat an Enya vorbei auf die oberste Stufe der Treppe – das Kinn hoch erhoben, den Blick auf das gerahmte Bild an der im Übrigen kahlen Wand gerichtet. Bunte Strichmännchen, die ihre Schwester als Mama, Enya, Papa bezeichnet hatte. Ein Verhängnis, sollte Gallagher die Kritzelei des Menschenmädchens als Kunst werten und kodexgemäß melden. Warum hatte sie ihrer Schwester gegenüber nur nachgegeben, statt die Zeichnung zu vernichten? Warum hatte sie das Bild aufgehängt und jedes Mal so sehnsüchtig betrachtet? Und warum hatte sie diesen Aufseher in ihre Wohnung lassen müssen, der weit mehr als nur dieses Kinderbild zerstören konnte.
Der junge Dämon stand mit einem Teller im Empfangsbereich der Wohnung und aß einen Pfannkuchen. Dieses Mädchen! Es hatte sich also nicht nur unbemerkt die Wimpern mit der Tusche nachgezogen. Es verstand einfach nicht. Es verstand nicht, in welche Gefahr es sich brachte.
Zarah holte ein zerknülltes Taschentuch hervor und drückte es Enya in die Hand. »Wisch dir den Dreck von den Augen ab.«
»Au! Du tust mir weh!«
Ihre Finger umklammerten Enyas Faust. »Ich habe gesagt: Runter mit dem Dreck. Sofort.«
›Du bist nicht meine Mutter!‹, hätte nun folgen müssen, doch Enya verschwand schon im Bad und warf die Tür hinter sich zu. Zarah glaubte zu hören, wie Mama, Enya, Papa erzitterte.
Gallagher hatte weitergegessen, während er das Schauspiel aufmerksam verfolgte. Ash hätte sich nie so hemmungslos den Bauch vollgestopft, wenn ihm der Mord an einem Unschuldigen bevorstand. Wie schade, dass dieser Dämon ihr nicht den Gefallen tat, an dem Pfannkuchen zu ersticken. Aber um in den Genuss eines solchen Glücks zu kommen, hätte sie vermutlich die gesamte Wohnung mit vierblättrigem Klee tapezieren müssen.
Stufe um Stufe zwang sie sich, zu ihm hinunterzusteigen. Das Edelholz stöhnte unter ihren Schritten.
Die Härte wich aus seinem Gesicht, als sein Blick auf ihre Frisur fiel.
»Ich musste mich frisch machen«, murrte Zarah, als sie am Ende der Stufen angelangt war.
Er schluckte. »Das sehe ich. Wäre gar nicht nötig gewesen, sich meinetwegen so hübsch zu machen.«
Sie ballte die Hände zu Fäusten. Ihr rechter Haken war gar nicht so schlecht.
Doch sein Blick irritierte sie. Etwas darin passte nicht zu seinem spöttischen Ton.
Sie unterdrückte ein Knurren, das sich ihrer Kehle entringen wollte. Ash fehlte ihr. Es waren sein Verständnis und seine Anteilnahme, die sie nun auch bei Gallagher suchte. Nur würde ihr keiner Ash je ersetzen können.
Gallagher aß den Pfannkuchen zu Ende und legte die Gabel auf den Teller. »Wollen wir? Vergiss das Aufseherzeichen nicht.«
Sie zerrte ihre Uniform aus dem Garderobenschrank und zog sie an. Die Jacke knöpfte sie falsch zu. Sei’s drum. Vor dem Spiegel klebte sie sich das Gjallarhorn auf die linke Wange.
Aus der Küche ertönten unterdessen Wasserrauschen und Geschirrgeklapper. Sie trat auf die Schwelle. Der junge Dämon säuberte die Arbeitsplatte, die Teller steckten im Abtropfgestell, die Edelstahlspüle glänzte bereits.
Er musste ihren Blick gespürt haben, denn er wrang den Lappen aus, hängte ihn über den Wasserhahn und drehte sich um. Auch jetzt schienen seine Augen sanft und warm zu strahlen, obwohl seine Miene nach wie vor undurchdringlich wirkte. »Wir können gehen, wenn du so weit bist.«
»Ach, hast du nicht vor, auch noch staubzusaugen?« Sie drehte
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