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Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde

Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde

Titel: Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O Krouk
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knackte und raschelte, während Tissan sich aus dem Haufen zum Bürgersteig freikämpfte. Sein T-Shirt war an mehreren Stellen zerrissen, Kratzspuren übersäten seine Haut.
    Zarah gab sich einen Ruck und griff nach seinem Arm. »Komm mit! Ich bin da, um dir zu helfen.«
    Er schlug ihr ins Gesicht. Warmes Blut lief ihr aus der Nase, ein dumpfer Schmerz durchdrang ihren Schädel. Schon packte der junge Mann sie an den Schultern und stieß sie von sich. Rücklings landete sie auf dem Kopfsteinpflaster.
    Der Himmel drehte sich über ihr.
    Gallagher kam aus dem Hauseingang; ebenfalls vom Dach zu springen war anscheinend unter seiner Würde gewesen. Ihr Blick folgte seinen polierten Aufseherstiefeln, die neben ihrem Gesicht die winzigen Steinchen hochschleuderten und sich rasch weiterentfernten, bis der Dämon Tissan einholte und ihn stellte.
    Grauer Stahl blitzte vor dem grauen Himmel auf. Die Schwertklinge sauste nieder.
    »Nein.« Zarah schloss die Augen, unfähig, der Hinrichtung zuzusehen, hielt sich die Ohren zu, um den Geräuschen zu entfliehen.
    Irgendwann spürte sie, wie jemand sie fasste und ihr auf die Beine half. Sie konnte kaum stehen, geschweige denn, sich dagegen wehren. Unter ihrer Wange fühlte sie das Leder von Gallaghers Uniformjacke.
    »Was hast du bloß gemacht.« Gallaghers Stimme hatte etwas seltsam Tröstliches. »Kannst du gehen? Wir müssen uns beeilen. Ich bringe dich hier weg, und dann …«
    »Zarah!« Der Befehlston ließ ihn erstarren, obwohl der Ruf nicht ihm galt. Seine Finger bohrten sich schmerzhaft in ihre Schultern, als wäre sie es jetzt, die ihm Halt gab.
    Zarah registrierte, wie zwei Ordnungsaufseher auf sie zukamen. Dass die Beamten so schnell hier aufgetaucht waren, ließ nur eine Schlussfolgerung zu: Die ganze Aktion hatte von Anfang an unter Beobachtung gestanden.
    »Zarah! Du bist verhaftet wegen vielfachen Verstoßes gegen den Kodex und Verrats an der Nachtseite.«
    Jetzt lehnte nicht nur ihre Wange an der Motorradjacke, sondern ihr ganzes Gesicht vergrub sich geradezu darin. Ihre klammen Finger fanden den Weg unter das Kleidungsstück, fühlten Gallaghers Wärme und seine festen Muskeln durch den Stoff des Hemdes.
    »Zarah!« Grobe Hände entrissen sie der Umarmung. »Zarah, hast du mich verstanden? Du bist verhaftet.«
    Sie suchte Gallaghers Blick. Seltsam, dass sie ausgerechnet jetzt daran dachte, dass die Farbe seiner Augen an Waldhonig erinnerte. Nur … von tiefem Schmerz durchzogen. Der Ausdruck versetzte ihr einen Stich. Niemals hätte sie erwartet, so viel Sorge und Kummer in einem Dämonengesicht zu entdecken. Schon gar nicht in Gallaghers.
    Der Aufseher zog sie von ihm fort, und sie stolperte durch die Schlaglöcher im Pflaster. Dann wurden ihr die Arme nach hinten gebogen. Handschellen schlossen sich um ihre Gelenke, und sie wurde abgeführt.

»Oft ist die Zukunft schon da,
ehe wir ihr gewachsen sind«
    John Steinbeck,
amerik. Schriftsteller
    Die Stimmen begleiteten mich Tag und Nacht, jede Sekunde meines Lebens und sogar in die entferntesten Träume hinein. Irgendwann gewöhnte ich mich an sie und lernte, sie zu verstehen. Ob sie sich ärgerten oder zufrieden waren, ob sie mir ihr Leid klagten oder gelangweilt vor sich hin brabbelten. Manchmal wagte ich es, ihnen zu trotzen. Dann zog sich die Magie von mir zurück, um bald wiederzukommen.
    Meinen nächtlichen Retter hatte ich ab und zu flüchtig gesehen. Seine Blicke zeigten mir, dass er sich Sorgen um mich machte, doch es ergab sich keine Gelegenheit, ihn auszufragen. Deshalb wartete ich, bis er kommen würde, um alles zu erklären.
    So geschah es auch. Er besuchte mich, als der Abend über der Gegend niedersank und die Welt in Zwielicht tauchte. Sein Gesicht wirkte müde und eingefallen. Die Stimmen in meinem Kopf lästerten über ihn, während ich versuchte, sie unbemerkt zur Ruhe zu mahnen.
    Ich beobachtete, wie er gebeugt über die Schwelle trat und weiter den Flur entlangwanderte. »Wo warst du die ganze Zeit?«
    Sein wachsamer Blick wandte sich mir zu. »Du hast früher mit mir gerechnet?«
    Ich musste vorsichtiger werden. »Ich hatte darauf gehofft. Kein guter Tag?«
    »Nein. Und wenn die Nacht schon so anfängt, möchte ich nicht wissen, wie sie endet.«
    »Willst du darüber reden?«
    Er stieß einen Laut hervor, der mich an den Ruf einer Krähe erinnerte. »Nein. Es gibt viel wichtigere Sachen, die es zu bereden gilt.«
    Ich wusste nicht so recht, wohin mit ihm, und führte ihn in die Küche. Er

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