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Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde

Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde

Titel: Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O Krouk
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sich auf dem Absatz um, klemmte sich ihren Motorradhelm unter den Arm und trat, gefolgt von Gallagher, in den Aufzug.
    Unten angekommen, durchquerten sie schweigend das Vestibül und nickten dem Concierge zu. Der Parkhausjunge hatte Gallaghers Motorrad bereits vor den Eingang gestellt und reichte ihm den Chip zur Entrieglung des Fahrzeugs und seines Navigationssystems.
    »Wir müssen zum Ordnungsamt und meine Maschine holen.« Mit der könnte sie vor Gallagher am Einsatzort eintreffen und Tissan warnen. Dem jungen Mann eine, wenn auch noch so geringe, Chance geben, seinem Henker zu entkommen.
    Gallagher blieb neben ihr stehen und wandte sein Gesicht dem Himmel zu, den das Vordach vor ihm verbarg. »Wir waren uns doch einig: keine Dummheiten. Du glaubst doch nicht im Ernst, ich lasse dich mit deiner Verletzung selbst fahren? Wir nehmen mein Motorrad. Ich vertraue dir so weit, dass du mir kein Messer in den Rücken rammst.«
    Das Messer in ihrem Stiefel. Obwohl es sie prompt in den Fingern juckte, trottete sie brav neben dem Dämon her zu seinem modernen Elektrofahrzeug. Als sie auf die Maschine geklettert war und Gallagher das Motorrad auf die Straße manövriert hatte, schaute sie zum Penthouse hoch. Natürlich konnte sie nichts sehen. Dennoch hob sie eine Hand zum Abschied und hatte das Gefühl, dass Enya ihren Gruß verschmähte.
    Gallagher sah anscheinend keine Notwendigkeit, aufs Tempo zu drücken. Zarah fragte sich, ob er Rücksicht auf sie nahm oder ob dies nur ein weiterer Ausdruck seiner inneren Ruhe war. Solange sie durch die Stadt kurvten, starrte sie gedankenverloren auf seinen breiten Rücken, der sie dazu verlockte, sich anzulehnen, während sie zwischen den Schenkeln das Vibrieren der Maschine spürte. Unausweichlich drängte sich ihr die Erinnerung an eine ganz andere Fahrt auf: auf einem brüllenden, uralten Benziner wild über die Landstraßen und Gallagher vor ihr, an den sie sich genauso wie jetzt mit ihrem ganzen Leib presste.
    Genauso wie jetzt? Hastig rutschte sie ein Stück nach hinten. Verdammt, Zarah, wie verzweifelt bist du eigentlich?
    Das alles war einfach zu viel. Für ihre Gefühle fehlte ihr eindeutig eine Gebrauchsanweisung. Vielleicht sollte sie doch mit Enya darüber reden. Als Mensch hatte ihre Schwester mit dem ganzen Durcheinander sicherlich mehr Erfahrung.
    Zu bereitwillig ließ sich Zarah von der Umgebung ablenken. Je weiter sie fuhren, desto mehr veränderte sich das Gesicht der Stadt. Am Tag wirkte zwar jede Straße ausgestorben, doch im Zentrum Hamburgs merkte man, dass das Herz der einstigen Elbmetropole noch schlug. Hier und da registrierte Zarah Gesichter in den Fenstern oder schüchterne Gestalten auf Balkonen, die wie Enya versuchten, etwas Licht zu tanken. Die kläglichen Reste einer mächtigen Rasse, die einst die Welt regiert hatte.
    In der Altstadt von Altona angekommen, bog Gallagher in die Sägemühlenstraße ein und gelangte schließlich auf den Olbersweg, der an einem Hang lag. Er schaltete den Motor ab, zog die Handschuhe und den Helm aus. Schaute auf die Uhr. Beugte sich vor und rieb mit einem Finger imaginären Schmutz vom Lack der Maschine.
    »Willst du mit dem Ding knutschen? Ich kann gern wegschauen.« Sie stieg vom Motorrad.
    Links von ihr drängten sich Häuser aneinander mit Dächern aus roten und braunen Ziegeln. Zwei gigantische Bauvorhaben, die irgendwann angefangen und nie zu Ende gebracht worden waren, versperrten die Sicht auf die Elbe. Doch dazwischen konnte sie einen Blick auf das graue Wasser und die Kräne des Hafens erhaschen, die verlassen und vergessen in den Himmel ragten. Der Olbersweg endete kaum 200 Meter weiter unten an einem dreistöckigen Gebäude mit einem schwarzen Spitzdach. Zum Elbblick versprach das Schild an der grauen Fassade. Und über dem Eingang prangte: Restaurant .
    Insider behaupteten, das Einzige, was abgesehen vom regenschwangeren Himmel über Hamburg das Ende der Welt, den Krieg und die anschließende Dämonenherrschaft überlebt hatte, sei eben diese Gaststätte. Das Lokal hatte bereits im frühen 21. Jahrhundert, bevor die Membran riss, die die menschliche und die magische Welt voneinander trennte, zu den letzten Hafenkneipen der Stadt gehört.
    Gallagher blieb vor einem sandgelben Mehrfamilienhaus stehen und beäugte die Fassade. Der Putz war schon längst abgebröckelt, die Ziegelsteine darunter sichtbar. Ein dürres Bäumchen hatte sich in einem Wandspalt eingenistet. Die Fenster des ersten Stockwerkes versanken

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