Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde
räusperte sich. »Zarah, Verständigungsprobleme zu haben ist bei uns ein Dauerzustand. Oder fällt dir ganz spontan eine Situation ein, in der wir keine Verständigungsprobleme hatten?«
»Beim Sex?«, entfuhr es ihr. Es sollte eine schlagfertige Erwiderung sein, nicht mehr. Doch dann überkam sie die Erinnerung an Sand, der an ihren Lippen klebte, an Küsse, die nach Meer schmeckten.
Verdammt, Zarah, du bist doch längst darüber hinweg! , mahnte sie sich, um sich im nächsten Augenblick zu fragen, ob er auch an diese Nähe dachte, ob es ihm etwas bedeutet hatte, ihr verrückter Ausbruch aus der Akademie, die irre Fahrt auf dem alten Benziner nach Travemünde und diese absolute, alles verschlingende Liebe auf einem kargen Strand an der Ostsee.
Aber das mit der Liebe, das musste wohl eines dieser Verständigungsprobleme gewesen sein.
Er lehnte sich zurück und starrte in seinen Tee. Sie hätte es ahnen sollen, wie schwer es wirklich sein würde, ihm allein gegenüberzutreten. Wie verletzlich sie sich fühlen würde – ein naives, dummes Mädchen, das einfach nicht dämonisch werden wollte. Andererseits … was störte sie das. Ihre Partnerschaft wäre eh niemals offiziell anerkannt worden. Gaius hätte kaum einer Paarung seiner direkten Nachfahrin mit einem wie Gallagher zugestimmt. Dafür war der Kastenunterschied zwischen ihr als dem Abkömmling eines erzdämonischen Kriegers und Gallagher, dessen Erzeuger zu den dämonischen Dienern zählten, schlichtweg zu groß.
Über eine Beziehung zu Gallagher brauchte sie überhaupt nicht nachzudenken. Jetzt, als Geächtete, umso weniger.
»Ich … ich muss …« Sie schüttelte den Kopf, zwang sich, an ihre Aufgabe zu denken . »Darf ich vielleicht dein Bad benutzen?«
»Ist alles in Ordnung?«
»Ja. Ich muss nur mal.«
»Klar.«
Sie beeilte sich, aus dem Wohnzimmer zu verschwinden. Im Bad ließ sie Wasser ins Waschbecken laufen und schlich unterdessen ins Arbeitszimmer.
Er hatte nicht abgeschlossen.
Mit nur einem Schritt gelangte sie in eine völlig andere Welt.
Aus den Regalen quollen Kartons mit schwer definierbarem Inhalt. Zwei weitere standen am Boden, mit Kabeln, Platinen und C D s gefüllt, trugen die kryptischen Bezeichnungen ›Zeugs I‹ und ›Zeugs II ‹. Ob seine Bleistifte tatsächlich alle die gleiche Länge hatten? Um das zu klären, hätte sie zuerst einmal welche finden müssen, denn in dem dafür vorgesehenen Behälter steckte ein angebissener Schokoriegel.
Kannte sie ihn überhaupt?
Sie schob ein paar Utensilien beiseite, die vor dem Monitor lagen, um sich etwas Platz zu verschaffen. Anscheinend kam sie dabei an einen Sensor, sodass die Laser-Tastatur direkt auf der Tischoberfläche rot aufleuchtete. Auf dem Bildschirm – die Datenbank des Ordnungsamtes. Und Gallagher war tatsächlich noch eingeloggt! So nachlässig?
Ihre Finger verharrten über der Tastatur. Wenn der unbefugte Zugriff auf das System des Ordnungsamtes aufflog – und er würde mit Sicherheit auffliegen –, war es Gallagher, der dafür seinen Kopf hinhalten musste. Sie konnte es nicht tun. Egal, wie sehr er sie verletzt und wie sehr sie ihn zwei Jahre lang dafür gehasst hatte, sie konnte es einfach nicht tun.
Oh doch! Ein Ruf wie eine Offenbarung. Etwas Lichtes, Erhabenes durchflutete ihr Inneres. Denk an Enya, wenn du schon nicht an dich selbst denken willst. Kannst du es zulassen, dass sie hungert und in einer Bruchbude haust? Im steten Luftzug und ohne richtige Versorgung wird sie diesen Winter nicht überleben.
Fast von allein führten ihre Finger die Suchanfrage durch. Das System spuckte bereitwillig die verlangten Daten aus. In einer Schublade, vergraben unter einigen Zetteln, fand sie einen Datenspeicherstick. Wenige Augenblicke später hatte sie die Einträge heruntergeladen und die Seiten wieder geschlossen.
Den Stick mit der Faust umklammert, drehte sie sich um. Gallagher! Er stand mit verschränkten Armen im Türrahmen und beobachtete jede ihrer Bewegungen.
»Ich wollte nur …« Sie stammelte. Noch schlimmer: Ihr fiel nichts weiter ein und das Lichte, Erhabene schmeckte plötzlich nach Asche.
»Eine Runde Solitaire spielen?« Seine Stimme klang kühl. Und keinesfalls mehr gelassen. Reflexartig schaute sie zum Fenster. Draußen war es hell. Viel zu hell, als dass er sich noch in seine dämonische zweite Gestalt hätte werfen können. Welche er auch immer besaß.
»Ich frage es nicht noch einmal: Was soll das?« Seine Nasenflügel bebten leicht, die
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