Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde
traute. Sie war allein. Und wünschte, er wäre bei ihr – Gallagher. Sie wünschte, sie könnte ihm alles anvertrauen.
Damals, in der Akademie – das war doch bloß eine Affäre. Ohne Zukunft. Es konnte nichts anderes gewesen sein.
Ja, wie war es denn damals? Wusste sie es noch?
Sie wusste es.
Er fiel niemals auf, zumindest, wenn es nicht wieder einmal um sein Gesicht ging. Die meiste Zeit hockte er in irgendeiner Ecke mit seinem Pad und löste merkwürdige mathematische Aufgaben voller seltsamer Buchstaben und Zeichen. Eigentlich hätte sie es schon damals merken sollen – für einen Dämon war er schlichtweg zu still und vor allem zu schlau. Nicht selten fragte sie sich, wie ausgerechnet er ihre Aufmerksamkeit gewinnen konnte. Wahrscheinlich lag es daran, dass sie ihren Kommilitonen in allem hinterherhinkte: im Ausdauertraining, in Kraftübungen, im Leben. Die anderen brauchten keine Verschnaufpausen. Sie dagegen hielt zu oft inne und bemerkte manchmal, was viele zu schnell übersahen. Gallagher, zum Beispiel. Später wurde ihr klar, dass sie viel öfter innehielt, wenn sie ihn irgendwo über sein Pad gebeugt sitzen sah. Er ist immer so still, hatte sie sich gedacht und mehr gewollt. Mehr von seiner Stille, von den Blicken, von dem Geruch seiner Haut.
Wie konnte ich ihn lieben? Ich. Eine Dämonin. Sie stützte sich erneut am Waschbecken ab. »Und warum schmerzt das bloß so entsetzlich?«
»Was schmerzt?«
Sie fuhr herum und stieß gegen die Schüssel mit dem restlichen Wasser, das auf den Boden kippte. Prompt stand sie in einer Pfütze, und ihre Socken saugten sich voll.
Alessa machte einen Schritt ins Bad. Zarah wich zurück, bis sie die Kante des Waschbeckens im Kreuz fühlte. Mit zusammengepressten Lippen starrte sie das Mädchen an. Das bordeauxrote Strickkleid, das zwei Handbreit über dem Knie endete, umschmeichelte die zarte Figur. Ein breiter Gürtel mit einer verzierten Schnalle in Sichelform betonte die Taille. Ein paar blonde Locken kringelten sich über den Ohren, das restliche Haar war in künstlerischer Unordnung hochgesteckt.
Das meinten die Menschen also mit hübsch . Vielleicht sogar mit schön .
… und ließen sich küssen von den zarten Lippen.
»Du sollst doch nicht aufstehen. Komm, ich bringe dich zurück ins Bett.«
»Nein.« Sie zerrte ein Handtuch von einem Haken, kniete sich hin und tupfte das Wasser auf. »Ich werde wahnsinnig, wenn ich noch länger in diesem Zimmer bleibe. Ich muss raus.«
Alessa hockte sich neben sie. Aus dem Schrank unter dem Waschbecken zog sie einen Lappen hervor. Ihr Kleid rutschte hoch, und sie zupfte am Saum, während sie mit der anderen Hand versuchte, die Pfütze aufzuwischen. Diese Nägel! Mit Glitzerlack. Oh Mann. Hatte in diesen Händen tatsächlich vor nicht allzu langer Zeit eine Maschinenpistole gelegen?
»Lass das, Prinzesschen. Wäre doch schade um die gute Robe.«
Alessa setzte sich gerade hin, den Lappen im Schoß. Das würde einen Fleck geben. Einen recht hässlichen Fleck. »Was habe ich verbrochen?«
»Bitte?«
»Ich weiß, dass du nicht unbedingt einfach bist. Glaube mich aber zu erinnern, dass wir schon mal auf einem besseren Gesprächsniveau waren.«
»Ich habe doch kaum etwas gesagt.«
Das Mädchen legte den Lappen beiseite, und im nächsten Augenblick ruhten ihre Hände auf Zarahs Schultern. »Dann ist alles gut?«
Es kostete sie Überwindung, sich dieser Berührung nicht zu entziehen. »Na ausgezeichnet, was sonst?«
»Schön. Ich weiß nicht, ob wir passende Sachen für dich haben. Aber wie wäre es, wenn ich dir dein Haar zurechtschneide? Du glaubst gar nicht, wie sehr dir ein guter Pixie-Cut stehen würde!«
»So weit kommt es noch!« Sie wich zurück und stieß mit dem Hinterkopf gegen das Waschbecken. »Meine Haare lässt du schön in Ruhe.«
»Du weißt aber, dass dieses Durcheinander auf deinem Kopf wie ein überfahrenes Eichhörnchen aussieht, oder?«
»Ja. Und ich habe nichts daran auszusetzen!« Sie stand auf und ging. Wusste nicht, wohin, ging einfach, und der Boden schien nachzugeben unter ihren Schritten. Vielleicht gehörte sie tatsächlich ins Bett.
Alessas Finger schlossen sich um ihr Handgelenk. »Ich glaube, ich kann es weder bei ›gut‹ noch bei ›na ausgezeichnet‹ belassen. Was ist passiert? Ist es … wegen Gallagher?«
»Nein. Warum sollte es? Lächerlich. Seid ihr ein Paar?« Der Boden hätte nachgeben müssen. Aber ausgerechnet jetzt stand sie fest auf den Beinen, und es wallte keine
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