Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde
Katastrophe heran, die sie von der Erde auslöschen oder zumindest ihre letzte impulsive Frage ausradieren würde.
Alessas Augen weiteten sich. Verständnislosigkeit lag in ihrem Blick. Dann lachte sie los. Die Locken wippten um ihr Gesicht, als würden sie mitkichern. »Gott, nein! Um Himmels willen. Bist du eklig.«
»Eklig? Ich dachte … Ich dachte, hübsche Menschen mögen, nun ja – andere hübsche Menschen.«
»Gallagher ist mein Bruder.« Das Lachen erstarb, als Alessa sich auf die Unterlippe biss.
Diese sanften Züge des Menschengesichts, die zaghaften Fältchen um die Mundwinkel, wenn das Mädchen lächelte, die Augen, die das Blau des Taghimmels versprachen. Alles so verdammt offensichtlich! Unwillkürlich griff Zarah nach einer von Alessas Locken. Sie fühlte, wie das weiche Haar zwischen ihren Fingern hindurchglitt. Und beobachtete, wie die Strähne sich zu einem Kringel neben dem Ohr zusammenrollte, sobald die Spitze freigelassen wurde. Weizenblond. Und so schön.
»Ich nehme an, er hat es dir erzählt, oder? Zumindest hatte er das vor.«
Sie widerstand dem Impuls, noch einmal nach der Strähne zu greifen. Früher hatte sie so oft Gallaghers Haar zwischen ihren Fingern gefühlt. »Dass ihr Geschwister seid? Nein.«
»Woher er wirklich stammt.« Alessas Blick wurde eindringlich, prüfend.
»Er sagte, dass seine Dämonenfamilie ihn sich ertauscht hat.«
Ein erleichtertes Seufzen. »Genau. Er hat uns vor circa dreieinhalb Jahren gefunden. Meine Mutter war rausgegangen, um die Abfälle zum Komposthaufen zu bringen. Er saß im Hof auf dem Hackklotz neben dem Schuppen. Vermutlich schon seit Stunden, ohne anzuklopfen. Meine Mutter kam zurück ins Haus, führte ihn an der Hand wie ein kleines Kind. Lessa, hat sie gesagt, bring deinem Bruder einen Stuhl, und hör auf, von dem Auflauf zu naschen, wir essen, wenn Vater da ist.« Alessa strich sich eine Strähne hinter das Ohr. »Seit diesem Tag war er immer für uns da, wenn wir ihn brauchten, hat uns vor Bösem beschützt. Bis zuletzt. Als das Böse stärker war als alles, was er ihm entgegensetzen konnte.«
»Oh verdammt.« Zarah senkte den Blick.
»Was ist?« Eine Hand legte sich auf ihren Rücken. Die Berührung ließ sie erschauern, ließ ihr Inneres erstarren.
»Verdammt, nein.«
»Zarah? Ist alles in Ordnung?«
»Nein! Nichts ist in Ordnung.«
Sie schaute in Alessas Gesicht, das plötzlich seltsam verschwommen wirkte, erblickte deren Augen – groß, blau, erschrocken. »Zarah. Du … Du weinst …«
»Er hat mir das Teuerste anvertraut, was er hatte. Seine Familie. Er wollte, dass ich euch beschütze. Und ich ließ zu, dass ein Formwandler deine Eltern abschlachtet.«
Ehe sie sich’s versah, lag sie in Alessas Armen, das Gesicht an der Schulter des Mädchens, und dachte daran, dass sie mit ihren Tränen das schöne Kleid befleckte. Dabeiwar es doch zu hübsch. Die Wolle so weich wie das Streicheln vertrauter Hände, vom schüchternen Duft eines warmen Menschenkörpers getränkt. Nicht einmal Enyas Sachen rochen so … kraftgebend.
»Weißt du noch, Zarah, wie du im Auto gesagt hast, dass ich mir diesen Schuh nicht anziehen darf? Niemand war gegen diesen Formwandler gewappnet. Niemand hat mit ihm gerechnet. Auch Gallagher nicht. Du hast mehr getan, als möglich war.«
Eine Weile rang sie um Fassung. Als sie sich wieder aufrichtete, musste sie nicht mehr durch die schmerzende Kehle atmen und sich gegen den Druck in der Brust stemmen. Die Tränen hatten alles fortgeschwemmt, alles, außer ihrer Schuld. »Was ist eigentlich mit dem Dämonensprössling geschehen? Gegen den Gallagher ertauscht wurde?«
Alessa atmete durch und drückte Zarah ein Taschentuch in die Hände.
»Hm, ich schätze, das hätte ich nicht fragen sollen, was?« Sie putzte sich die Nase.
»Doch. Schon ok. Tja. Da war der Name Programm.«
»Wie meinst du das?«
»Daimon. Klingt schon fast nach … nun ja … nach dem, was er war. Findest du nicht auch?« Die Locken um ihr Gesicht zitterten. »Er hat meinen Vater ermordet. Danach hat ihn niemand je wieder gesehen.«
»Deinen Vater? Ich dachte … Warte. Wer war dann der Mann, den der Formwandler getötet hat?«
»Mein Stiefvater. Meinen leiblichen Vater hat Daimon umgebracht, als ich etwa fünf Jahre alt war. Ich erinnere mich kaum an die Einzelheiten, das meiste wurde mir später erzählt.« Alessa zupfte das Taschentuch aus Zarahs Hand und knetete es nervös.
»Du musst es mir nicht erzählen.«
»Ich weiß
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