Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde
warum fiel es ihm jetzt denn so schwer? »Ja, habe ich. Danke, dass du das Wörtchen ›bloß‹ gnädigerweise verschluckt hast.«
»Manchmal frage ich mich, ob du masochistisch veranlagt bist. Sag nur rechtzeitig Bescheid, wann ich das nächste Mal den Besen herausholen muss, um die Scherben zusammenzufegen, nachdem die Tussi dir das Herz gebrochen hat. Es ist doch schon wieder so weit, hab ich recht?«
»Hör auf. Du verstehst das einfach nicht.«
»Wirklich?« Urplötzlich senkte Friedbert die Stimme. Seine Sprossen blinkten alarmgelb. »Ich glaube, wir sind nicht mehr allein.«
Etwas hatte sich verändert. Frühlingsfrische stieg Gallagher in die Nase, ein Gefühl von Ruhe und Besinnlichkeit schien beinahe greifbar durch das verwüstete Wohnzimmer zu treiben. Bläuliches Licht schimmerte an den Wänden.
Neben der Tür schwebte eine Astralprojektion.
In der Dämmerungsstunde strahlte sie um einiges weniger intensiv als bei ihrer letzten Begegnung am helllichten Tag.
»Ashriel. Was tust du hier?«
Friedbert grunzte. »Was wohl? Mäuschen spielen. Der Tussi hechelst nicht du allein hinterher.«
»Hallo, Gal.« Aus dem tiefen Timbre strömte so viel Frieden, als wäre der Engel dabei, zu segnen und zu vergeben. »Wie ich merke, hast du deinen kleinen Freund immer noch nicht im Griff.«
»Lass meine Fee in Ruhe.« Gallagher erhob sich. »Ich habe doch oft genug gesagt, du sollst mich nicht in meiner Wohnung aufsuchen, ich werde zum Treffpunkt kommen und dich rufen, wenn es so weit ist. Oder ist Geduld neuerdings eine Todsünde bei euch?«
Ashriel starrte in die Ferne, über seinen Kopf hinweg, sodass Gallagher sich umdrehte, um zu sehen, was sich hinter seinem Rücken abspielte. Aber da war nur ein Fenster.
»Ich bin der Engel des Lichts. Ich bin hier, um dir eine Botschaft zu überbringen.«
»Warum so offiziell?«
»Die Erzengel haben beschlossen, mit sofortiger Wirkung jegliche Unterstützung deiner Aktivitäten zu beenden.«
»Wie bitte?«
»Es wird keine Treffen mehr geben, keinen Informationsaustausch, kein Asyl für Flüchtlinge von der Nachtseite. Freu dich, es ist das letzte Mal, dass du meinen heiligen Anblick ertragen musst.«
»Ich würde ja glatt jubeln, wenn ich verstehen würde, was los ist. Dein Anblick kann mir erspart bleiben, aber was ist mit den Menschen, die eure Hilfe brauchen? Was ist mit Tara?«
»Tara ist nicht mehr von Bedeutung.«
»Nicht von Bedeutung? Weißt du, wie dreckig es ihr in der Toten Stadt geht? Bald ist sie achtzehn, wenn sie bis dahin nicht raus ist, ist sie so gut wie tot. Es ist schon jetzt nicht abzusehen, welchen Schaden sie genommen hat.«
»Die Erzengel …«
»Die Erzengel! Verschone mich mit deinen Erzengeln. Unsere Aktivitäten waren nie wichtig oder bedeutend genug, um den obersten Chor der Engel zu beschäftigen. Ihnen überhaupt aufzufallen. Was ist also passiert?«
Die Astralprojektion schwebte mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu. »Ich bin nicht befugt, dir darüber Auskunft zu erteilen.«
»Ihr steht unter dem Mistelzweig«, flötete Friedbert an seinem Ohr.
»Glaub ja nicht, ich werde ihn knutschen.« Gallagher funkelte den Engel an. »Rede, was ist passiert? Wir haben euch die Infos zugespielt, eure Auserwählte in Sicherheit gebracht, das Tagebuch eurer Prophetin beschafft – und es soll Schluss sein?«
»Die Erzengel danken dir für die bisher geleistete Arbeit.« Eine Pause folgte, bis die nächsten Worte mit seltsamem Nachdruck kamen. »Besonders für die Ausführung des letzten Auftrages sei dir gedankt. Im Namen der Erzengel entschuldige ich mich für die Unannehmlichkeiten, die du unseretwegen hattest und …«, erneut eine Pause, »… haben wirst.«
»Haben werde? Ashriel, was geht hier vor?«
»Leb wohl.« Der Engel bewegte den Arm, als zeichnete er mit dem Zeigefinger etwas in die Luft, und löste sich in silbernen und goldenen Wirbeln auf.
Gespeist von den letzten Spuren seiner Energie, leuchtete die unsichtbare Schrift in der Luft auf.
SUCH DAS ORAKEL! LAUF!
»Orakel? Lauf? Friedbert, kneif mich. Was war das gerade für ein Auftritt?«
»Ich bin mir nicht sicher«, kam es zögernd zurück. »Etwas Böses geschieht gerade. Ich spüre da recht miese Schwingungen.«
Rasselnd fiel das Gitter vor den Fenstern herunter und verwandelte die Wohnung in ein Gefängnis. Mit einem eindringlichen Alarmton meldete das Haussystem: »Achtung! Die Angehörigen dieses Haushalts stehen unter Arrest. Bitte Ruhe bewahren. Warte auf die
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