Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde
vorenthalten. So macht ihr Menschen das, oder etwa nicht? »Amrum.«
»Oh.« Die Besorgnis in Alessas Stimme war unüberhörbar.
Vielleicht hätte sie die Information nicht preisgeben dürfen. Es gab einen Spion in ihren Reihen, der Abbas’ Zettel überbrachte. Aber seine eigene Schwester?
»Es ist gefährlich dort. Besonders … für Gallagher.«
»Ich weiß. Keine Sorge. Ich kenne mich auf der Sireneninsel aus.«
»Dann folgt ihr tatsächlich einer Fährte.« Etwas auf dem Tisch klapperte leise, als Alessa eine der Tuben oder Kästchen zurücklegte. »Versprich, dass du ihn mir heil zurückbringst.«
»Darauf kannst du Gift nehmen.«
»Er ist alles, was ich habe.«
Zarah schaute auf. »Lessa. Ich schwöre dir bei allen Teufeln, dass ich auf ihn aufpassen werde. Ihm wird nichts geschehen. Du hast mein Wort.«
Alessa nickte ernst. »Danke. Und jetzt – Augen zu. Ich bin noch nicht fertig.«
Zarah gehorchte. Etwas tupfte, pinselte und rieb über ihr Gesicht. Ihre Haut fühlte sich ungewöhnlich schwer und zugespachtelt an. Bloß nicht ausflippen. Irgendwann würde man es abwaschen können. Hoffentlich.
»So. Wie findest du es? Sag aber die Wahrheit.«
Sie traute sich nicht, die Augen aufzumachen.
»Za-rah.«
Schon gut. Sie tat es.
»Und? Was denkst du? Gefällt es dir?«
Sie starrte ihr Spiegelbild an.
Sie war … hübsch. Tatsächlich hübsch. Trotz der Narbe, die ihr Gesicht verunstaltete.
Und was sie noch mehr erschreckte: Sie wusste nicht, ob sie dieses Hübschsein gut oder schlecht finden sollte.
»Dir fehlt noch der Lippenstift. Ich habe leider keine zu deinem Teint passende Farbe. Aber Giulia sollte noch etwas von ihrem Lipgloss haben. Brilliant rose kiss . Der ist wie für dich geschaffen.«
An der Tür raschelte es. Zarah wandte den Kopf und sah, wie Giulia sich von dem Rahmen löste. Wie lange hatte die junge Frau hier schon herumgelungert?
»Schön zu erfahren, Alessa, wie großzügig du hier meine Sachen herumreichst.«
Mit einem Mal wirkte Alessa klein und schuldig. Keine Spur mehr von dem Mädchen, das Giulia einst den Weg zu Gallagher versperrt hatte. »Du hast recht. Es tut mir leid.«
»Du bist wohl einen Tick zu sehr in deiner Rolle aufgegangen.« Giulia drehte sich um und ging. »Ghost ist unten. Er bittet um ein wenig Beeilung«, tönte es aus dem Flur.
Alessa lehnte sich an den Tisch. Ihre Arme hingen schlaff herab, das Gesicht hatte sie dem Boden zugewandt. »Tut mir leid. Ich bin mir sicher, sie meinte es nicht so. In der letzten Zeit sind wir alle ein wenig angespannt.«
Zarah stand auf. »Schon gut, mach dir keinen Kopf deswegen. Ich sollte deinen Bruder nicht warten lassen.« Sie ging aus dem Zimmer.
»Zarah, warte. Bitte. Ich muss dir etwas sagen. Geh nicht mit Giulia da runter. Am besten … am besten …«
Aber sie lief schon die Treppe hinunter, denn sonst würde sie es sich womöglich doch noch anders überlegen. Erst in der Mitte des Abstiegs, als sie den Eingangsbereich sehen konnte, machte sie halt, stieg noch zwei, drei Stufen hinunter und verharrte. Unten wartete die Meute auf sie. Unzählige Gesichter, die vor ihren Augen zu flackern schienen, glotzten zu ihr herauf. Kein Gallagher. Sie konnte ihn nirgends sehen. Vielleicht erkannte sie ihn auch nicht, so sehr, wie die Gesichter vor ihrem Blick schwirrten. Nein, er durfte nicht da unten sein, er durfte es einfach nicht.
Ein ersticktes Flüstern in ihrem Rücken holte sie ein: »Zarah, ich muss dir etwas sagen.«
Jemand gackerte. Hier und da stimmten ein paar andere mit ein.
»He, da ist doch unsere Seelenlose.« In jedem Wort – das Feuer von Samba und die dunkle Süße von Amaretto.
»Hat sich ganz schön herausgeputzt.«
»Das Narbengesicht!«
»Denkt wohl tatsächlich, mit etwas Schminke würde sie ansehnlicher sein.«
Zarah merkte, dass sie zitterte. Und nichts dagegen tun konnte. Die Gesichter feixten sie an, labten sich an ihrer Blöße.
»Stellt euch das mal vor: Sie wollte doch wirklich meinen Lipgloss haben.« Das schmatzendes Geräusch eines Kusses peitschte durch den Raum. » Brilliant rose kiss. Kiss, kiss, Narbengesicht!«
Zarah drehte sich um und lief. Stolperte. Stieß sich die Knie an den Stufenkanten an. Die kleine, schuldige Alessa trat ihr in den Weg.
Sie schubste das Mädchen beiseite. Das Lachen der Meute jagte sie den Flur entlang. Irgendein Zimmer. Irgendein Bad. Sie knallte die Tür hinter sich zu, suchte nach einem Riegel und fand nichts. Die anderen scharten sich
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