Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde
Veranstaltung an. Gleich zwei von diesen Flyern steckten hinter den Scheibenwischern des alten Minis, der ganz unscheinbar auf den Trip nach Dagebüll wartete. Gallagher zog die Zettel hervor, faltete sie ordentlich zusammen und steckte sie in die Tasche seiner Jacke. Außerhalb der Toten Stadt und seines Arbeitszimmers war er anscheinend immer noch der überaus korrekte Dämon, den Zarah zu kennen glaubte.
»Willst du ans Steuer?« Es waren die ersten Worte, die er seit dem Vorfall im Bad an sie gerichtet hatte, und das vermutlich auch nur, weil sie es zugelassen hatte, dass ihre Blicke sich trafen. Rasch wandte sie ihr Gesicht ab. Sie wollte ihn nicht anschauen. Und vor allem wollte sie nicht, dass er sie anschaute, eine Dämonenfrau, die sich von einem Menschenmob jagen ließ.
»Zarah?«
Sie schüttelte den Kopf, abweisend genug, damit er nichts mehr sagte, und stieg ein. So trug die Stille zwischen ihnen sie bis nach Dagebüll, die ganzen vier Stunden lang. Ihre Route verlief durch die kaum benutzten Landstraßen, wo die Chancen, auf eine Patrouille zu geraten, etwas sanken. Ab und zu hielt sie es nicht aus und warf einen verstohlenen Blick zu ihm rüber, den er sofort spürte und zu erwidern versuchte, doch Zarah schaute jedes Mal rechtzeitig weg. Das Auto fühlte sich zu eng an, zu voll von seinem Schweigen, seiner Nähe, seinem Duft.
Am Ziel angekommen, spürte sie kaum noch ihren Hintern und ihre Beine, so steif hatte sie auf dem Beifahrersitz gehockt.
Die Gegend war in Schwärze getaucht, nur am Pier kämpften sich Lichter durch die zähe Nacht. Der eisige Wind fegte über die freie Fläche, erfüllt vom Geruch nach Schlick und Meer. Zarah atmete tief ein und aus, spülte mit der salzigen Luft die Enge von sich.
Gallagher sagte, das Schiff sei noch nicht da, und fragte, ob sie etwas essen wolle. Sie schüttelte abermals den Kopf und ging, setzte sich auf die Kante des Piers. Die Wellen unter ihr schwappten träge wie Erdöl. Sie starrte hinein. Wäre sie nicht gebrandmarkt worden, hätte sie vielleicht die zweite Gestalt ihrer Mutter geerbt. Wie es sich wohl anfühlte, dem Meer zu gehören? Sie beugte sich vor, als wäre sie bereit, in die Wellen zu tauchen.
Sie hörte, wie Gallagher hinter sie trat. »Zarah, bitte, rede mit mir.« Der Wind trug seine Worte davon.
Sie schwieg.
Sie hatte ihn an sich herangelassen; sie hatte Alessa an sich herangelassen; sie war dabei, die ganze Welt an sich heranzulassen. Ein Fehler.
Er setzte sich zu ihr. »Zarah …«
»Es gibt nichts zu bereden.« Sie kam hoch, taumelte, wäre beinahe ins Meer gestürzt, als seine Hand ihren Arm abfing. Sie zerrte ihren Arm aus seinem Griff. Der Wind drängte sie von ihm. Zu bereitwillig gab sie dieser Kraft nach und stolperte einige Schritte davon, die Arme eng um ihren Leib geschlungen.
Langsam wandte Gallagher das Gesicht ab und starrte aufs Meer hinaus.
Jeder fror für sich, nur wenige Schritte voneinander entfernt und doch fern genug, um sich in der Nacht zu verlieren.
Der Wind warf Zarah die Klänge eines Windspiels zu. Aus einer rosafarbenen Staubwolke über Gallaghers Kopf schälte sich hustend und niesend Friedbert. Die nächste Böe wirbelte ihn landeinwärts davon, doch er kämpfte sich zurück.
»Da bist du ja!« Sein Piepsen ertrank in der Nacht und in der eigenen Empörung. »Wie erwartet, gerade dabei, etwas Idiotisches anzustellen.«
»Friedbert, was machst du hier?«
Die Fee schwirrte dicht über seinem Kopf. »Dir mitteilen, dass deine Haaransätze wieder mal blond durchschimmern. Bei Tinkerbell, was glaubst du denn, was ich hier tue?«
Gallagher fing Friedbert auf und schirmte ihn mit einer Hand vor dem Wind ab. »Wie hast du erfahren, was ich vorhabe? Und wieso bist du mir gefolgt? Friedbert, du solltest doch bei der Perchta bleiben. Dort bist du in Sicherheit.«
»Und was ist mit dir?«, rief Friedbert aus. »Kannst du mir bitte schön erklären, was an meiner Anweisung, die Füße still zu halten, so schwer zu verstehen war? Hätte Tara nicht angedeutet …«
»Tara? Auch das noch. Hat sie sich davongeschlichen? Was hat sie bei der Perchta gemacht? Sie sollte doch in der Toten Stadt bleiben, bis wir eine Lösung für sie gefunden haben.«
»Ups. Ich meine …«
»Wie oft macht sie das? Verdammt, es ist doch so gefährlich für sie. Sie wird überall gesucht.«
»Ach, du etwa nicht?«, brauste die Fee von Neuem auf. »Dieser heimliche Trip sollte – was noch einmal darstellen? Ein romantisches
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