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Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde

Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde

Titel: Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O Krouk
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verschlossen. Schon wieder hörte ich ein Baby weinen, sein Quengeln drang zu mir durch all die Wände hindurch, die uns trennten.
    »Es tut mir leid, wenn ich dich etwas vernachlässigt habe. Aber ich weiß kaum noch, wann ich zuletzt richtig geschlafen habe. Schon merkwürdig, dass Koliken in einem winzigen Bauch einem mehr abverlangen als die Umgestaltung der Zukunft.« Er warf mir etwas zu, mit einem harten Geräusch schlug es auf den Boden. »Beeil dich, wir müssen los.«
    »Wwwo-chin?« Ich konnte mich zusammenreißen, für dieses eine Wort, bevor die spitzen Zähne durch das Zahnfleisch sprossen und ich nach dem Essbaren schnappte. In meinem Mund splitterte der Knochen, an dem kaum Fleisch war. Genug, um mich auf die Beine zu bringen, aber zu wenig, um mir die Kraft einzuflößen, die notwendig gewesen wäre, damit ich meinem Kerkermeister entkommen könnte.
    »Auf einen kleinen Ausflug. Wir müssen endlich an die Trägerin deiner Zunge herankommen. Und ich habe schon einen Gedanken, wie.« Er zerrte mich hoch. »Du scheinst in dieser Angelegenheit nichts voranzubringen – tut dir das Mädchen etwa leid?«
    In der Dunkelheit sah ich ihn kaum, spürte sein Gesicht jedoch dicht vor meinem. Sein Geruch verursachte mir Übelkeit. Mir schwindelte, als würde er mir die Luft wegatmen.
    »Sag schon!« Seine Finger quetschten mir das Fleisch von den Oberarmen. »Sag es. Tut die Kleine dir leid? Hast du noch Gefühle?«
    »Gib mir mehr … zu essen …«
    Er ließ mich fallen. »Du hast genug. Steh auf und folge mir.« Mit wenigen Schritten erreichte er die Tür. Ich kroch ihm hinterher. Wie töricht von mir, geglaubt zu haben, ich könnte ihn überlisten.
    Die Stimmen umflüsterten mich, machten mir Mut. Ich war nicht allein.
    Ich lauschte der Magie. Sie berichtete mir, was in der Welt da draußen ohne mich geschah; wie bald schon geschehen würde, worauf ich so sehr hoffte. Das Mädchen würde sterben. Ich würde seine Zunge bekommen und vollkommen sein. Während mein Bewacher mich beim nächsten Vollmond an sich binden und durch mich über die Magie befehligen wollte.
    Ich brauchte Hilfe. Ich würde nicht allein gegen ihn bestehen, ich durfte nicht zulassen, dass er mich beherrschte, sobald ich geformt war.
    Hilfe …
    Ich sah mich in der Welt um mit den Augen der Magie, hörte die unzähligen Gedanken, Wünsche und Hoffnungen. Nach und nach sickerte ich aus meinem Körper und wurde allgegenwärtig. Ich suchte, ich fand. Wenn ein Dominostein fällt, passiert vielleicht nichts weiter, aber manchmal löst er eine Kettenreaktion aus, die im entscheidenden Moment ausschlaggebend sein kann.
    Mein Dominostein saß in einem tomatenroten Anzug auf der Schulter eines Menschen und hielt sich an einer Haarsträhne fest. Kaum zwei Daumen hoch, aber voller widersprüchlicher Gefühle, die er sich selbst nicht eingestehen wollte und noch weniger verstehen konnte.
    Ich würde alles genau berechnen. Ich würde meinen Dominostein umstoßen und beobachten, wie mit ihm alle fielen, genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte.
    Es ist leicht, sich in Geduld zu üben, wenn die Zeit in einem pulsiert und man sie mal schneller, mal langsamer laufen lässt.
    Es ist leicht, alles zu wissen, wenn man allwissend ist.
    Im 17. Jahrhundert der alten Zeitrechnung hatte Dr. John Dee ausführlich beschrieben, wie man eine Fee fing. Ein deutliches Zeichen dafür, dass durch die Membran schon damals etwas Magisches in die Menschenwelt durchsickerte, denn woher sonst hätte der Mann die Methode so genau kennen sollen? Ich suchte nach einem Helfer, der für mich die ersten Vorbereitungen treffen konnte, damit mein Kerkermeister nichts bemerkte.
    Der Helfer hieß Mattes. Er schlief noch, während ich ihn umflüsterte. Nimm einen breiten viereckigen Kristall, sagte ich, drei Zoll in der Länge und in der Breite. Lege den Kristall in das Blut einer weißen Henne an einem Mittwoch oder einem Freitag. Nimm ihn heraus, wasche ihn mit geweihtem Wasser und räuchere ihn.
    Dr. John Dee empfahl den Vorgang zur Sicherheit mehrfach zu wiederholen, aber so viel Zeit hatte ich nicht, zumal die Magie mir zuflüsterte, dass es ausreichen würde.
    Bald würde der Pferdejunge aufstehen, aber nicht aufwachen; bald würde er alles daransetzen, meine Bitte zu erfüllen, und keine Ruhe finden, bis er es getan hatte. Menschen waren so lenkbar.
    Mein Körper rief mich zu sich. Ich sträubte mich dagegen, doch der Sog wurde stärker und stärker und zog mich Stück für

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