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Tag der Buße

Titel: Tag der Buße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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Downtown Los Angeles, aber der Müll stank immer noch wie Müll.
    Er hatte geglaubt, daß es beim zweiten Mal leichter sein würde. Doch es war genau umgekehrt. Es war noch schwerer. Er mußte sich noch öfter übergeben und schwitzte und zitterte, als ob er eine Grippe hätte. Vielleicht hatte er ja Grippe. Doch er wußte, das konnte es nicht sein. Er hatte sich ganz okay gefühlt, bis Hersh gesagt hatte, sie müßten wieder auf Beutefang gehen. Nichts, aber auch gar nichts war beim zweiten Mal leichter. Wenn überhaupt, dann war es schwieriger, weil Hersh darauf bestand, daß die Pistole geladen war. Um zu verhindern, daß das gleiche wie beim letzten Mal passierte.
    Noam hatte ihn fragen wollen, warum sie überhaupt eine Waffe brauchten, wenn Schwule sich doch nicht wehrten. Doch der Blick in Hershs Augen – wie ein tollwütiger Hund kurz vor dem Angriff – hatte ihn bewogen, den Mund zu halten. Außerdem hatte er in diesem Augenblick wieder ganz schnell ins Bad gemußt.
    Nun hielt er also die Pistole wieder in der Hand, und sie war wieder genauso rutschig. Doch diesmal würde Noam sie nicht fallen lassen. Sie könnte ja losgehen und ihm ein Bein wegpusten.
    Gott, warum rannte er jetzt nicht einfach weg?
    Warum?
    Einfach die Beine in die Hand nehmen und weglaufen.
    Das tun, was Tanti Miriam ihm gesagt hatte.
    Zur Polizei gehen.
    Selbst Gefängnis war besser als das hier.
    Mußte es einfach sein.
    Aber was war mit seinen Eltern?
    Sie würden ihm nie vergeben, wenn er ins Gefängnis kam.
    Sie würden nie mehr mit ihm reden.
    Er hätte Tanti Miriam nicht anrufen sollen und ihr sagen, daß er in Schwierigkeiten steckte. Er hätte abwarten und bei nächster Gelegenheit weglaufen sollen.
    Er hätte nach Hause gehen sollen, sobald es ohne Gefahr möglich war, und diese furchtbaren Aweras für sich behalten. Aber jetzt wußte Tanti Miriam, daß er in Schwierigkeiten steckte.
    Man würde ihm Fragen stellen.
    Aber man hätte ihm in jedem Fall Fragen gestellt.
    Einfach weglaufen.
    Jetzt.
    Tu es!
    TU ES!
    Er stand aus der Hocke auf und spürte ein Pochen hinter seinen Schläfen. Seine Beine waren wie Pudding. Obwohl er das Gefühl hatte, gleich ohnmächtig zu werden, wußte er, daß er sofort loslaufen sollte.
    Aber es war zu spät.
    Er sah Hersh.
    Und das Opfer.
    Der Mann war groß – genau wie der erste.
    Und er war kräftig – genau wie der erste.
    Hersh hatte versprochen, daß er einen kleineren aussuchen würde. Was sollte das? Wollte er unbedingt sterben?
    Gefangen.
    Nur noch einmal, schwor sich Noam.
    Dann war Schluß.
    Dem Typ das Geld abnehmen, und dann war Schluß!
    Noch einmal.
    Das war’s dann!
    Noam sprang auf, drückte dem Mann die Pistole in den Magen und sagte seine auswendig gelernten Zeilen auf.
    Aber wieder lief es nicht wie geplant.
    Wieder ging alles schief.
    Der Mann reagierte nicht so, wie er sollte.
    Er schlug die Pistole weg und stieß Noam von sich. Noam fiel auf den Hintern.
    Die Pistole sauste durch die Luft.
    Dann schlug sie mit einem dumpfen Geräusch auf.
    Noam blickte auf. Hersh kämpfte mit dem Mann. Jeder versuchte, den anderen in seine Gewalt zu bekommen.
    Aber Noam war frei.
    Frei!
    Die Männer ächzten und stöhnten.
    Was tun? dachte Noam hektisch.
    Lauf. LAUF!
    Noam spürte einen plötzlichen Energieschub in seinen Beinen. Er machte einen Satz und versteckte sich hinter einem Müllcontainer, der nach Fäulnis stank. Dann linste er seitlich an dem Container vorbei.
    Hersh und der Mann prügelten sich immer noch. Beide hatten Blut im Gesicht. Ihre Hände bewegten sich so schnell, als ob das Ganze in einem Trickfilm stattfinden würde.
    Der Mann brüllte irgendwas von Hinterhalt.
    Er hielt Hersh im Schwitzkasten.
    Drückte Hersh den Hals zu.
    Noam lief drei Meter weiter. Sein Atem ging flach und abgehackt.
    Lauf!
    Noch ein Stück. Dann zwang er sich, sich umzusehen.
    Hersh traten die Augen aus dem Kopf. Seine Wangen waren wie Luftballons. Seine Lippen aufgequollen wie Marshmallows. Seine Fingernägel gruben sich blutig in den Arm seines Gegners. Aber der Mann hielt ihn eisern fest.
    Gefangen.
    Lauf! dachte Noam.
    LAUF!
    Noam sah nach rechts und nach links. Hinter sich, vor sich.
    Niemand.
    LAUF!
    Der Mann drückte immer fester. Hersh stieß quieksende Laute aus.
    Etwas Metallisches stach ihm ins Auge.
    Die Pistole.
    Noam hatte die Pistole ganz vergessen.
    Ächzend und quieksend versuchte Hersh seinen Hals zu befreien. Seine Fingernägel zogen tiefe blutige Linien in die muskulösen Arme

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