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Tag der Buße

Titel: Tag der Buße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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schönes, unglückliches Gesicht. Er hatte die Flügel eines exotischen Vogels gestutzt. Er ging zum Kofferraum, nahm die Taschenlampe heraus und machte den Kofferraum leise wieder zu.
    Ein letzter Blick auf Rina. Er klopfte ans Fenster; sie schaute auf. Er sagte mit den Lippen »Ich liebe dich«.
    Rina zögerte, dann schickte sie ein stummes »Sei vorsichtig, Peter«, zurück. Decker hätte ein »Ich liebe dich« bevorzugt, aber das war wohl zu viel verlangt.
    Draußen war es feucht. Der Nebel schwebte über der kargen Landschaft. Die Zufahrtsstraße hob sich kaum von der Baustelle ab – beide waren voller losem Schotter und Sand. Decker versuchte, so leise aufzutreten wie möglich, doch seine Schuhe knirschten auf den losen Steinchen und wirbelten Staub auf.
    Er hakte die Taschenlampe an seinen Gürtel. Es war zwar immer noch dunkel, mindestens noch zwei Stunden bis zum Morgengrauen, aber die Straßenlaternen gaben genug Licht ab. Ein Teil weniger zu tragen. Regentropfen schlugen ihm gegen die Wangen. Er klappte seinen Kragen hoch und steckte die Hände in die Taschen. Mit langsamen Schritten suchte er die Gegend nach irgend etwas Aufschlußreichem ab.
    Vorwärts gehen und beobachten.
    Er sah nach unten, dann nach oben.
    Wenn er nicht nach oben geguckt hätte, wäre es ihm nicht aufgefallen.
    Ein gewundenes schwarzes Kabel, das zum Querträger eines Telefonmasts führte. Das Kabel verlief in einem Bogen nach unten und endete an einem Holzpfahl etwa dreißig Meter vor ihm. Decker ging hin. Ein schwarzes Wählscheibentelefon war mit Metallringen an dem Pfahl befestigt.
    Da er in seiner Jugend auf Baustellen gearbeitet hatte, kannte Decker solche Apparate. Auf größeren Baustellen ließ der Bauherr häufig einen provisorischen Anschluß installieren, damit der Polier telefonieren konnte. Sobald die Arbeit beendet war, wurde der Anschluß wieder entfernt. Hier war allerdings kein Schloß an der Wählscheibe. Das war ungewöhnlich. Vielleicht war nie eins dagewesen, vielleicht hatte es aber auch jemand gewaltsam entfernt. Decker packte den Hörer mit dem Ärmel seiner Jacke und hob ab.
    Ein Freizeichen.
    Er rief die Auskunft von Brooklyn an. Sobald die Vermittlung sich meldete, hängte er ein. Er hatte nur feststellen wollen, ob man von hier aus Ferngespräche führen konnte.
    Man konnte.
     
    Als er Schritte hörte, fuhr Noam mit dem Kopf hoch. Die Träume von seiner Familie lösten sich sofort auf. Er sah Hersh vor sich aufragen, die Hände hinter dem Rücken. Hellwach griff Noam nach seiner Tasche, stand auf und machte einen Schritt zurück.
    Hersh ging einen Schritt vor und sagte: »Wollte nur nachsehen, ob wir nichts vergessen haben. Du kannst ruhig weiterschlafen.«
    Noam antwortete nicht.
    »Leg dich wieder hin, Nick-O«, sagte Hersh. »Versuch noch ’ne Runde zu pennen.«
    Noam trat einen weiteren Schritt zurück und drückte die Tasche wie einen Schutzschild an sich. »Bin nicht müde.«
    »Ich wollte nur nach deinem Gepäck sehn«, sagte Hersh. »Ob du auch alles eingepackt hast.«
    »Hab’ ich.« Noam wich noch weiter zurück. »Alles drin.«
    »Die Pistole ist geladen?« fragte Hersh.
    Noam schüttelte den Kopf und ging noch einen Schritt zurück. »Du hast doch gesagt, es hätte keinen Sinn, sie zu laden. Wir würden sie in den Koffer packen und mit einchecken lassen.«
    Hersh kam näher und sagte: »Vielleicht würd’s ja nichts schaden, sie trotzdem zu laden.«
    Noam wich noch ein Stück zurück und sagte: »Das ist aber doch Unsinn. Wenn sie von allein losgeht, dann kriegen wir ganz grundlos Schwierigkeiten.«
    Eine Zeitlang schwiegen beide. Noam wußte, daß Hersh wütend war. Er starrte auf die Tasche. Er wollte sie. Er wollte die Pistole. Doch er machte keine Anstalten, danach zu greifen. Dann hatte Hersh wieder dieses unheimliche Grinsen im Gesicht, und Noam sah, warum. Er hielt ein Weidemesser in der rechten Hand. Er bedrohte ihn zwar nicht direkt damit, aber er fuchtelte irgendwie damit in der Luft herum.
    »Gib mir die Pistole«, sagte Hersh mit ruhiger Stimme. »Hey, ich lade sie für dich, Nick-O.«
    Noams Herz raste in seiner Brust, sein Kopf dröhnte wie verrückt.
    Wie in diesem Buch, das Hersh immer las – Marvin K. Mooney.
    Die Zeit war gekommen.
    Das war’s!
    Er war sich ganz sicher, daß Hersh ihn töten würde. Bei der Vorstellung, genauso hingeschlachtet zu werden wie diese anderen Männer, wurde ihm schwindlig und übel. Aber ihm durfte jetzt nicht schlecht werden. Nicht wo er

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