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Tag der Buße

Titel: Tag der Buße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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Tapedeck. Aus den Lautsprechern ertönte eine rauhe Männerstimme, die einen jiddischen Text rezitierte. Decker drückte auf eject.
    »Was ist denn das?« fragte er und nahm die Kassette heraus.
    Rina nahm sie ihm ab und las die Aufschrift. »Oh.«
    »Was oh?«
    »Es ist der fünfte Teil einer Vorlesungsreihe von Rav Pearlman über Midos – Umgangsformen.«
    »Das hören sich diese Leute beim Autofahren an«, sagte Decker.
    »Du solltest sie nicht ›diese Leute‹ nennen.« Decker lächelte. »Musik ist nicht erlaubt?«
    »Natürlich ist Musik erlaubt.« Rina öffnete das Handschuhfach. »Sie hat hier jede Menge Kassetten.“
    »Was denn zum Beispiel?«
    Rina fing an, die Titel vorzulesen. »Zu Ihrer Erbauung singt Rav Chaverstein kantoriale Klassiker …“
    »Schnell weg damit.«
    »Dann haben wir den Lubawitscher Knabenchor mit Schabbes Smirot und anderen beliebten Liedern.«
    »Der Lubawitscher Knabenchor«, sagte Decker. »Ist das so was wie der Kastratenchor in Italien?«
    »Nein, Peter. Aus diesen Jungs werden richtige Männer.“
    »Isse nich gute für die Geschäft. Zu viele Fluttuazione.“
    »Weißt du überhaupt, wie du nach Crown Heights kommst?« fragte Rina. »Gestern abend bin ich doch auch hingekommen.“
    »Du scheinst aber einen Umweg zu fahren. Auf die Tour brauchen wir bestimmt eine Stunde.«
    Decker antwortete nicht sofort. Schließlich sagte er: »Willst du übernehmen, Rennfahrerin?« Rina lächelte. »Du machst das prima, Darling.“
    »O Gott, warum hab ich mich nur breitschlagen lassen, dich mitzunehmen?«
    »Weil du ein zweites Paar Augen brauchst und jemanden, der schießen kann.« Decker fuhr mit dem Kopf herum. »Was?«
    Rina keuchte, Decker latschte auf die Bremse. Fast wäre er auf das Auto vor ihnen aufgefahren.
    »Alles okay?« fragte Decker.
    »Vielleicht sollte ich doch lieber fahren, Peter.«
    »Ich bin ein guter Fahrer«, sagte Decker. »Was hast du gemeint mit jemand, der schießen kann? Ich dachte, du hättest keine Waffe mehr.«
    Rina antwortete nicht.
    »Rina …«
    Ganz langsam knöpfte sie ihre Jacke auf. Sie trug ihren kurzläufigen Colt .38 Detective Special im Rockbund.
    »Ich kann es nicht glauben …«, sagte Decker.
    »Er ist nicht geladen …«
    »Warum hast du so eine fixe Idee mit Waffen? Als du das letzte Mal schießen solltest, bist du vor Entsetzen erstarrt.«
    »Ich bin nicht erstarrt«, konterte Rina.
    »Ach?«
    »Yeah!« Rina machte ihre Jacke wieder zu und verschränkte die Arme. »Ich hab nicht auf deinen verrückten Freund geschossen, weil mir mein sechster Sinn sagte, daß er mir nichts tun würde.«
    »Darauf kann man sich sicher prima verlassen!«
    »Er hat’s ja schließlich auch nicht getan, oder?«
    »Aber das konntest du nicht wissen!«
    »Doch, das wußte ich …«
    »Wie konntest du das wissen …«
    »Ich wußte es einfach …«
    »Du wußtest es …«
    »Yeah, ich wußte es einfach.«
    Decker hob die Hände und ließ sie wieder auf das Steuerrad fallen. Sein »verrückter Freund« war ein alter Kriegskumpel gewesen, der offenbar nur darauf gewartet hatte, daß jemand die Selbstzerstörung vollendete, die er schon seit längerem betrieb. Er hatte Rina provozieren wollen, ihn zu erschießen, indem er sie bedrohte, als sie eine geladene Waffe in der Hand hielt. Als sie sich weigerte abzudrücken, nahm er ihr die Waffe ab und zielte damit auf ihren Kopf. Einen Augenblick später gab er sie ihr zurück und ging einfach weg. Decker hatte sofort gewußt, worauf es der Schweinehund abgesehen hatte. Er wollte Vergeltung für seine Geliebte, die im Krieg ermordet worden war. Er hatte Decker die Schuld dafür gegeben, und das war vielleicht auch berechtigt. Decker hatte Rina nie von dem Zwischenfall erzählt. Er würde es ihr auch nie erzählen. Manche Dinge waren einfach zu schmerzlich, um sie irgend jemand gegenüber zuzugeben, selbst der eigenen Frau.
    Er latschte erneut auf die Bremse. Rina sagte nichts. Ihr Schweigen war beredter als alle Worte.
    »Rina, ich möchte dich was fragen.«
    »Bitte.«
    »Warum um alles in der Welt trägst du eine Waffe mit dir herum – und zwar ausgerechnet die, die du angeblich verkauft hast? Erstens weißt du, daß ich meine dabei hab, wozu brauchst du also selber eine? Zweitens, warum nimmst du eine Waffe in eine Gegend wie Crown Heights mit?«
    »Ich hab dir doch gesagt, sie ist nicht geladen.«
    »Warum schleppst du sie denn dann überhaupt mit? Was ist mit dir? Möchtest du unbedingt Bonnie und Clyde

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