Tag der Entscheidung
Erhabenen. Sie lagen weinend und bebend in den Gräben, etwa ein Dutzend Schritte von der Straße entfernt, die Stirn gegen den Boden gedrückt. Tapek beachtete sie nicht, ganz so, als wären sie gesichtslos, bedeutungsloser als das Gras unter seinen Füßen. Die vom Wind aufgewirbelte Asche brannte in seinen Augen, als er über die Toten hinwegschritt. Brandblasenübersäte Rüstungsstücke und Knöchel knackten unter seinen Füßen. Er kam immer näher und näher; doch Maras Gefolgschaft blieb standhaft.
Weiter unten auf der Straße hüpfte die grünlackierte Sänfte auf und ab, als die Träger mit ihrer Bürde davoneilten; die Vorhänge hingen schief. Keyoke hatte sie eingeholt, trotz der Behinderung durch die Krücke.
Tapek betrachtete ihre sinnlose Flucht voller Verachtung. Er wandte sich an die vor ihm stehenden Krieger. »Und was bringt euch eure Loyalität am Ende? Eure Herrin wird niemals überleben und entkommen.«
Die Verteidiger der Lady enthielten sich einer Antwort. Der Federbusch auf Sujanras Helm wippte hin und her, doch darin lag nichts Beruhigendes. Die Bewegung war kein Zeichen von Feigheit, sondern nur eine Folge der Windstöße. Der Wille des Truppenführers war unerschütterlich wie ein Fels und seine Entschlossenheit unverrückbar. Incomo stand wie ein Priester auf dem heiligen Boden eines Tempels; auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck, als hätte er sein Schicksal angenommen.
Tapek musterte jeden einzelnen dieser Krieger, die seinen Zornesausbruch miterlebt hatten und sich dennoch nicht zu fürchten schienen. Es blieb nur noch eines, was sie vielleicht verletzen konnte, was möglicherweise ihre Barriere aus Solidarität und Trotz zerbrechen würde.
Wieder loderte Wut in ihm auf, und Tapek maß die Entfernung zwischen sich und der Biegung, hinter der Maras Sänfte verschwunden war. Er wählte einen vom Blitz gespaltenen Baum, und mit einer leichten Willensanstrengung beförderte ihn die Magie dorthin.
Als der Erhabene auftauchte, wirbelte Keyoke herum und blieb stehen. Er stützte sich auf die Krücke und nahm eine wachsame Haltung zwischen dem Magier und der Sänfte seiner Herrin ein.
»Befehlt den Sänftenträgern anzuhalten!« verlangte Tapek.
»Überlaßt es meiner Lady, ihren Sklaven zu befehlen, was sie will.« Keyoke zog die Krücke unter dem Arm hervor, griff mit beiden Händen zu und drehte sie herum, so daß ein Haken zum Vorschein kam. Das glatte Holz teilte sich mit einem klaren, sauberen Zischen, ein Zeichen dafür, daß eine Klinge aus einer im Innern verborgenen Scheide gezogen wurde. Keyoke hörte sich ganz und gar nicht wie ein alter Mann an, sondern wie ein General auf dem Feld, als er sagte: »Und ich werde auch nicht zur Seite treten, solange ich nicht von meiner Lady den Befehl dazu erhalte.«
Tapek wurde starr vor Erstaunen. Er blickte den Mann mit stechenden Augen an, doch Keyoke ergab sich nicht. Sein Gesicht war ledrig und wettergegerbt, zu viele harte Jahre hatten sich in zu vielen tiefen Linien eingegraben, als daß er jetzt Schwäche gezeigt hätte. Seine Augen mochten in letzter Zeit nicht mehr so scharf sein, doch in ihnen loderte das überzeugte Wissen um den eigenen Wert. Er hatte das Schlimmste erlebt, was ein Krieger sich vorstellen konnte – zu überleben und das Gefühl der Scham zu überwinden, als Krüppel weiterzuleben. Der Tod, schien sein fester Blick zu sagen, birgt keine Geheimnisse, nur eine letzte, stille Ruhe.
»Das ist gar nicht nötig, alter Mann«, zischte der Magier. Er trat auf das Dickicht zu, in dem die Träger mit Maras Sänfte verschwunden waren.
Keyoke bewegte sich mit erstaunlicher Behendigkeit. Der Magier sah sich dem spitzen Ende eines Schwertes gegenüber, das von einem Krüppel gehalten wurde.
Die Geschwindigkeit des Angriffs verblüffte Tapek, und er sprang gerade noch rechtzeitig zur Seite. »Ihr wagt es!« rief er.
Daß irgendein menschliches Wesen es wagen konnte, Gewalt gegen ihn anzuwenden, überstieg Tapeks Vorstellungskraft. Keyoke hatte es nicht nur gewagt, sondern versuchte es ein zweites Mal. Sein Schwert sauste mit einem Zischen herab und schnitt einen Riß in den schwarzen Stoff. Tapek hüpfte zur Seite. Seine Bewegungen waren weit weniger elegant als die des einbeinigen Schwertkämpfers, als er dessen tödlichem Hieb knapp entkam. Die Klinge blitzte auf, stieß zu und zwang ihn erneut zurück. Derart bedrängt und beinahe aus dem Gleichgewicht gebracht, konnte Tapek nicht die nötige Konzentration aufbringen.
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