Tag der Entscheidung
zerbarsten auf dem Marmorboden.
Glücklicherweise stand niemand im Weg.
Mara schloß die Augen. Haltet durch, meine Kinder, betete sie. Hokanus Hand schloß sich fester um ihre.
Sie erwiderte ein schwaches Lächeln, das warmherziger wurde, als Jehilia dem Priester antwortete. Die Prinzessin war gehorsam und gelassen, wie es ihrer Rolle entsprach; wenn sie sich auch an ihren neuen Ehemann klammerte, so war sie doch durch und durch königlich. Ihre Haltung blieb aufrecht, als die geflochtenen Käfige mit den rituellen Hochzeitsvögeln für den Segen hochgehoben wurden. Der Hohe Priester durchtrennte die Türen aus Ried mit einem Messer.
Mara biß sich auf die Lippen und kämpfte gegen ihre Tränen an, als das Vogelpaar im Innern die Flügel aufplusterte, um die angebotene Freiheit in Augenschein zu nehmen. Fliegt, wollte sie ihnen sagen, fliegt fort, paart euch und seid glücklich.
Bei ihrer eigenen, ersten Hochzeit war das Omen der Vögel ungünstig ausgefallen. Mit all ihrer Kraft sehnte sie sich danach, daß es diesesmal anders war. Sie und Hokanu mochten ihr Leben nicht mehr nach Omen, Zeichen und Traditionen ausrichten, doch es waren ältere Priester anwesend, die es taten.
Die Vögel schwangen sich in die Höhe, als gerade ein weiterer Donnerschlag die Luft zerriß. Alarmiert flogen sie aufeinander zu und schossen gemeinsam empor, durch die Lücke im zerbrochenen Oberlicht ins Freie.
»Den Göttern sei Dank«, murmelte Hokanu. Er drückte Maras Hand, während ihr ungehindert Tränen über die Wangen liefen. Sie konnte ihre Gefühle nicht zurückhalten. Sie sah nur verschwommen, daß zwei Kaiserliche Weiße in den zeremoniellen Rüstungen der Truppenführer mit dem gold-und fellgesäumten Mantel vortraten – dem Mantel des Kaisers von Tsuranuanni. Sie legten ihn Justin um die Schultern.
So groß der Junge auch inzwischen geworden war, in diesem Kleidungsstück wirkte er verloren. Mara wischte sich über die Augen und wurde wehmütig an Ichindar erinnert, der genauso schlank gewesen war und der sich am Ende unter dem Gewicht des kaiserlichen Amtes hatte beugen müssen.
Justin hielt sich gut. Er nahm Jehilias Hand, als wäre er zur Galanterie gegenüber Damen geboren und erzogen worden, und führte sie die Stufen zum Podest empor.
»Ganz der Sohn seines Vaters, allerdings«, murmelte Hokanu voller Stolz.
Singende Akolythen folgten dem frisch verheirateten Paar zusammen mit dem Priester Jurans, der das juwelenbesetzte goldene Kissen trug, auf dem die Kaiserkrone ruhte. Der Gesang klang abgehackt, immer wieder unterbrochen und übertönt vom Tosen der unaufhörlichen Angriffe.
Die Schläge folgten jetzt viel rascher aufeinander.
Eine Säule im hinteren Teil der Halle barst mit einem peitschenähnlichen Knall. Mara fuhr zusammen. Sie zwang ihre Konzentration ganz auf die Szene, die sich auf dem Podest abspielte. Sie konnte die Zeichen bevorstehender Gefahr nicht ignorieren: Die Luft wurde immer wärmer. Das Holzgeländer, vor dem die Bittsteller niederknieten, wenn sie eine Audienz beim Licht des Himmels erhielten, löste sich bereits in einzelnen Schichten auf. Der Steinboden wurde so heiß, daß Blasen entstanden, und die Edlen traten von einem Fuß auf den anderen, als das Leder ihrer Sandalen die zunehmende Hitze nicht mehr abhalten konnte.
»Die Cho-ja-Magier stehen unter großem Druck«, murmelte Hokanu in Maras Ohr.
Wieder ertönte lautes Donnern, erbebte die Halle. Einige der Abgesandten der Tempel streckten die Hände aus und stützten ihre Kollegen, und mehr als einem der Hohen Priester auf dem Podest stand die Angst ins Gesicht geschrieben. Mit grimmiger Miene hielten sie sich aufrecht.
Der Priester Lashimas, der Göttin der Weisheit, trat vor, um Justins Schläfen mit Öl zu betupfen. Seine Kleidung saß schief, und seine Hände zitterten. Ein Teil des heiligen Öls spritzte auf den kunstvollen Saum von Justins Mantel. Jehilia stand kurz vor einem Panikausbruch, die Hand, mit der sie Justin festhielt, ganz weiß. Als nächster kam der Priester Baracans und präsentierte Justin das uralte Schwert des Kaisers, das erst bei der Krönung eines anderen Kaisers wieder gezeigt werden würde. Justin streckte die Hand aus und legte sie auf die heilige Klinge, und Mara sah voller Angst seine Finger zittern.
Sie durfte nicht daran denken, daß es mißlingen könnte! Unzufrieden mit sich selbst reckte sie ihr Kinn in die Höhe und warf einen Blick zurück. Die Cho-ja-Magier standen bei der Tür, nicht
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