Tag der Entscheidung
stolperten und blieben abrupt stehen.
»Gerufen?« schrie Motecha verblüfft. Ruß verschmierte sein Gewand, und sein rotes Gesicht glänzte vor Schweiß. »Von wem?«
Die Kaiserlichen Herolde waren mehr als geübt dann, angesichts von unnachgiebigen Edlen Haltung zu bewahren. Sie verneigten sich tadellos. »Vom Licht des Himmels, Erhabener.«
»Was?« Sevean quetschte sich nach vorn, seine Kollegen dicht hinter ihm.
Die Herolde behielten ihre würdevolle Haltung bei. Auf dem Podest stand neben den Hohen Priestern der kaiserliche Seneschall und rief: »Justin! Zweiundneunzigmal Kaiser!«
Motecha fauchte. Sevean blickte völlig verwundert drein. Hochopepa war ausnahmsweise einmal sprachlos, und selbst der ernste Shimone dachte nicht daran, die Angelegenheit mit Magie weiterzuverfolgen, als jeder Mann, jede Frau in der Halle sich vor dem Monarchen verneigte.
Mara stand zwischen den sich langsam erhebenden Chakaha-Magiern und unterdrückte ihren Jubel. Die Herolde hatten sich bewundernswert verhalten. Sie hatten so selbstbewußt gewirkt, daß selbst die Erhabenen noch nicht daran gedacht hatten, die absichtlich herbeigeführte Schlußfolgerung zu bezweifeln: daß die Kräfte ihrer Verbündeten noch nicht erschöpft waren und daß der Verteidigungsbann nicht zusammengebrochen, sondern bewußt fallengelassen worden war.
»Wir haben keine Kraft mehr«, murmelte der Chakaha-Magier links von Mara kaum hörbar.
Mara winkte beruhigend ab. »Das Große Spiel«, murmelte sie. »Jetzt müssen wir alle es spielen – oder sterben.«
Fünfzehn
Der Kaiser
Die Erhabenen blickten sich erstaunt um.
Kaiserliche Weiße in goldgeränderten Rüstungen flankierten den Eingang zur Audienzhalle in tadelloser Haltung. Nirgendwo waren Krieger in den Farben der Acoma oder Shinzawai zu sehen, wie die Magier erwartet hatten.
Sie hatten das Nachspiel eines Kampfes erwartet und triumphierende Krieger, die ihre Beute bewachten, bis die Verlierer ihnen die Treue geschworen hatten. So waren Streitigkeiten in der Vergangenheit gelöst worden. Doch die Gute Dienerin hatte ihren Triumph nicht mit Zwang errungen. Niemand eilte zu ihnen, warf sich den Schwarzen Roben ehrerbietig zu Füßen und bettelte um Gnade, bat darum, Maras Machtergreifung ungeschehen zu machen. Ganz im Gegenteil, bemerkten die Magier in den vorderen Reihen, war es ihre überstürzte Ankunft, die den Gesichtern der Anwesenden Unbehagen entlockte. Sie alle schienen an der Verschwörung und dem von Mara erreichten Ende beteiligt zu sein. Trommeln donnerten und erstickten Motechas Ruf um Ruhe. Er winkte vergebens mit erhobenen Händen, während Kollegen neben ihm verstimmt dreinblickten, als sich eine Fanfare aus Trompeten und Hörnern über die Stadt erhob, wie es sie seit dem Tod Ichindars nicht gegeben hatte. Die Klänge unterdrückten sogar das Poltern der Felsbrocken aus den Belagerungsmaschinen.
Nicht weit hinter den ersten Magiern beugte sich Hochopepa zu Shimone. »Die Bediensteten müssen stundenlang hier drin gewesen sein, um Vorbereitungen zu treffen.«
Obwohl seine Worte nur für seinen Freund gedacht waren, hörte Sevean sie ebenfalls. »Ihr meint, es steckt langfristige Planung dahinter?«
Shimone bedachte seinen Kollegen mit einem verächtlichen Blick. »Von allen Herrschern im Kaiserreich hat gerade Mara niemals irgend etwas ohne einen Plan durchgeführt.«
Die Fanfare verklang, und Ruhe kehrte ein. »Ihr seid vor den Kaiserlichen Thron gerufen«, wiederholten die Kaiserlichen Herolde, während sie zurücktraten und den Eingang freimachten. Ein langer Gang bildete sich zwischen den Edlen und Kaiserlichen Beamten. Motecha stürmte mit hochrotem Gesicht vorwärts, der Rest der Magier dicht hinter ihm. Alle starrten nach vorn. Die im vorderen Teil der Halle versammelten Persönlichkeiten boten einen beeindruckenden Anblick.
Am Fuße des Kaiserlichen Podestes standen die Hohen Priester und Priesterinnen der Zwanzig Götter des Höheren Himmels und der Zwanzig Götter des Geringeren Himmels in ihren Zeremoniengewändern. Nur bei der Krönung oder dem Tod eines Kaisers fand eine solche Zusammenkunft statt.
Hohe, geschwungene Kopfbedeckungen mit kostbar funkelnden Steinen und seltenem Metall umrahmten ihre Gesichter. Bei jedem und jeder wartete ein Paar Akolythen mit den zeremoniellen Abzeichen des Amtes. Auch diese waren mit Edelsteinen besetzt und mit Schleifen aus Seide oder Bändern aus Metall geschmückt. Nur die Schwestern Sibis waren schmucklos; ihre
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