Tag der Entscheidung
über die ersten verwirrten Kommentare. »Fahren wir fort«, erklärte er entschlossen.
Maras Brust schwoll vor Stolz an. Der Junge würde einen guten Herrscher abgeben! Dann biß sie sich auf die Lippen; zuvor würde er die Hochzeit und seine Krönung überleben müssen.
Prinzessin Jehilia neben ihm wirkte blaß vor Furcht. Sie bemühte sich, das Kinn zu recken, wie es ihrem kaiserlichen Status entsprach; doch am liebsten hätte sie sich hinter ihrem Schleier versteckt. Justin streckte verstohlen seine Hand aus und umklammerte ihre in einem verzweifelten Versuch, gemeinsamen Trost zu finden.
Im Grunde waren sie nur Kinder.
Der Boden erzitterte unter einer weiteren Erschütterung. Der Priester Chochocans blickte sich um, als suchte er nach einem sicheren Unterschlupf.
Mara reckte die Schultern. Es durfte nicht alles verloren sein, nur weil ein schwacher Priester den Mut verlor! Sie straffte sich, bereit zum Eingreifen, auch wenn darin ein Risiko lag: Ihre Heiligkeiten würden sich möglicherweise jedem weiteren Druck verweigern. Wenn sie sie zu sehr forderte, konnten sie ihre Ziele für eigenen Ehrgeiz halten – oder schlimmer noch: Sie konnten sich mit der Macht ihres Amtes zurückziehen und erklären, daß Justins Vermählung mit Jehilia gegen den Willen des Himmels verstieß.
Die Zeit war knapp und die Situation gefährlich; sie konnte nicht erst in umständlichen Rechtfertigungen den ausführlichen Beweis dafür liefern, daß der Schlag gegen den Zauber der Cho-ja von Magiern geführt wurde, die sterbliche Menschen waren, deren Ziele dem Himmel nicht mehr entsprachen als die Handlungen von Herrschenden, die aus Neid oder Ehrgeiz oder Machthunger handelten.
Der Lärm von draußen erreichte einen neuen Höhepunkt, als ein weiterer Ansturm auf den Bann der Cho-ja-Magier stattfand. Lichtfetzen in allen Farben des Regenbogens schimmerten durch die Oberlichter und tauchten die Halle in unnatürliche Farben. Maras Unbehagen wuchs, als die Priester und Beamten mit den Füßen scharrten. Der alte Frasai von den Tonmargu zitterte regelrecht, möglicherweise stand er kurz vor einem Nervenzusammenbruch.
Unterstützung nahte schließlich aus einer unerwarteten Richtung. Der Hohe Priester des Roten Gottes drängte sich an die Spitze der um das kaiserliche Podest versammelten Abgesandten. »Bruder«, ermahnte er seinen schwankenden Kollegen, »wir alle gehören am Ende Turakamu. Würde dem Himmel mißfallen, was wir tun, wären wir schon längst vernichtet, doch mein Gott schweigt in mir. Ich bitte Euch, fahrt mit der Zeremonie fort.«
Der Hohe Priester Chochocans nickte. Er leckte sich den Schweiß von den Lippen und holte tief Luft, bevor er mit sonorer Stimme mit den nächsten Zeilen des Rituals fortfuhr.
Mara atmete erleichtert auf. Der Hohe Priester Jurans neben ihr warf ihr einen verständnisvollen Blick zu. »Bleibt ruhig, Gute Dienerin. Ihr habt Verbündete.«
Mara nickte schwach. Sie hatte in der Tat Verbündete – weitaus mehr, als sie wußte. Der Angriff der Magier mochte sich verstärken, doch nicht alle Priester würden sich so leicht entmutigen lassen. Die politischen Wendungen und Umkehrungen im Laufe der Jahrhunderte hatten sie gelehrt, vorsichtig zu sein. Sie konnten sich denken, wie sehr die Autorität der Tempel unter den Einfluß der Versammlung geraten würde, wenn sie diese Möglichkeit nicht ergriffen, wenn Justins Eheschließung nicht den Gesetzen entsprechend stattfand und die anschließende Krönung nicht durchgeführt werden würde. Die Schwestern Sibis standen wie Gestalten aus dem Reich der Toten da, ungerührt von der Vorstellung, daß der Kaiserliche Palast über ihren Köpfen zusammenbrechen könnte.
Denn was immer und wer immer unter dem Einfluß und der Macht des Himmels stand und sich der Herrschaft der Sterblichen unterordnete, beschritt einen gefährlichen Weg – einen Weg zudem, der das Mißfallen der Götter hervorrufen konnte. Dann würden die Götter ein Unheil über die Menschheit bringen, gegen das der Zorn der aufgebrachten Versammlung wie ein Wutausbruch von Kindern wirken würde.
Justins Antwort auf die nächste rituelle Frage ertönte klar und deutlich über dem Getöse eines neuen Angriffs. Donnerschläge krachten in scheinbar unendlichem Grollen. Eine den kaiserlichen Thron schmückende Perlenkette löste sich und rollte die Stufen der Pyramide hinab. Das Kristall in den Oberlichtern zersprang klirrend, und Scherben fielen, im Lampenlicht aufblitzend, herab und
Weitere Kostenlose Bücher