Tag der Entscheidung
»Ich kenne beides … Staunen und« – das Eingeständnis fiel ihm sichtlich schwer – »Scham.«
Mara brach die Stille. »Kann einer der Erhabenen leugnen, daß weder Haß noch Wut diesen Akt der Güte begründen?«
Hochopepa wartete, bis die Welle aus Ehrfurcht ihn ganz ergriffen hatte. Er lächelte. »Nein.« Dann kehrte sein Pragmatismus zurück. »Als erstes: Der Aufstieg Eures Sohnes auf den Thron des Himmels mag dem Gesetz entsprechen. Doch Eure Übertritte sind … ohnegleichen, Gute Dienerin. Wir werden möglicherweise niemals bereit sein, Euch zu vergeben, Lady Mara.«
Gedämpftes Gemurmel war von einigen Lords zu hören, doch es wurde kein offener Widerstand laut. »Der Weg der Versammlung ist klar«, erklärte Motecha. »Wir können als Justins Regentin keine Herrscherin akzeptieren, die sich uns widersetzt hat. Dieser Vorfall ist gefährlich. Es gibt wichtige Gründe, weshalb wir außerhalb des Gesetzes stehen.« Als er Mara ruhig betrachtete, sämtliche Wut durch die Arbeit der Cho-ja besänftigt, erhielt Motecha Zustimmung von seinen Kollegen. »Ich habe Justins Krönung akzeptiert, doch das befreit Lady Mara nicht von der Verantwortung für ihren Ungehorsam. Als sie sich uns widersetzte, hat sie gegen das Gesetz verstoßen!« Ihre Blicke trafen sich. »Ihr entehrt unseren Rang und unser Erbe, wenn Ihr Euch hinter dieser fremden Magie verbergt, Lady der Acoma! Ihr müßt den Schutz der Cho-ja zurückweisen und freiwillig die angemessene Strafe auf Euch nehmen. Der Gerechtigkeit muß Genüge getan werden.«
»Das ist wahr«, sagte Mara weich. Ihre Schultern blieben gestrafft, wenn auch aus bloßer Gewohnheit. Sie hatte keinen Plan mehr, den sie hätte anwenden können; sie allein stand nah genug bei den Cho-ja-Magiern, um das feine Zittern wahrzunehmen, das von ihrer Erschöpfung herrührte. Für die Beruhigungsbeschwörung hatten sie sich einer Reserve bedient, die beinahe erschöpft war. Sie konnten ihr nicht mit versteckten Wundern dienen. Zu leise für alle anderen außer denen, die nahe bei ihr standen, meinte sie: »Ihr hab euer Bestes getan. Wir haben eine Überarbeitung des großen Vertrags erreicht, egal, was aus mir wird.«
Der Magier links von ihr strich mit einem Vorderglied sanft über ihre Hand. »Mylady«, erklang seine Stimme in ihren Gedanken, ohne daß er laut gesprochen hätte, »Eure Erinnerungen werden von unserem Volk ewig bewahrt werden.«
Mara zwang sich, das Kinn zu recken. Sie wandte sich an alle Anwesenden in der großen Audienzhalle. »Ich hatte einmal geplant, mein Leben in den Dienst des Tempels Lashimas zu stellen. Das Schicksal sah für mich jedoch den Mantel der Acoma vor. Ich werde gehört werden. Die Götter haben mehr als nur mein Haus und meine Familie in meine Obhut gelegt.« Ihre Stimme wurde lauter und drang bis in die hintersten Ecken des von einer Kuppel überwölbten Saals. »Ich habe es auf mich genommen, die Traditionen zu ändern, die unsere Gesellschaft unbeweglich und starr machten. Ich habe Grausamkeit gesehen, Ungerechtigkeit und das verschwenderische Auslöschen von wertvollem Leben. Deshalb habe ich mich selbst zur Hebamme einer Wiedergeburt bestimmt, ohne die wir als Volk sterben werden.« Niemand unterbrach sie, als sie Luft holte. »Ihr alle kennt die Feinde, die ich geschlagen habe. Einige besaßen einen scharfen Verstand, andere einen eher gewöhnlichen.«
Sie betrachtete ein Gesicht nach dem anderen und bemerkte, daß ihr Appell einige von ihnen berührte. Motecha und viele andere lauschten einfach nur ihren Worten. »Unsere Herrschenden strebten um der Ehre willen nach Macht, um besser angesehen zu werden oder sich zu unterhalten – ohne an das Leid derjenigen zu denken, die ihrer Macht unterstanden. Unsere edlen Familien und Clans spielen das Spiel des Rates um den Preis, daß unnötig viel Blut vergossen wird! Mich im Namen der Gerechtigkeit zu töten, bevor mein Sohn das Erwachsenenalter erreicht hat und ohne Führung einer Regentin herrschen kann, bedeutet, das Kaiserreich wieder der Stagnation und dem Ruin zu überantworten. Unser Kaiserreich wird fallen, wegen unserer Fehler. Das ist der Preis meines Todes, Erhabene. Das ist die Grabinschrift Eurer Gerechtigkeit für unsere Zukunft. Das ist der Preis, den unser Volk für Euer Privileg bezahlen muß, außerhalb des Gesetzes zu stehen!«
Es war totenstill im Audienzsaal, während die Anwesenden über die Bedeutung von Maras Worten nachdachten. Sie selbst stand aufrecht und
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