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Tag der geschlossenen Tür

Tag der geschlossenen Tür

Titel: Tag der geschlossenen Tür Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rocko Schamoni
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einfacher macht.
     
    Ganz, ganz liebe Grüße – Ihr Michael Sonntag
     
    Jetzt heißt es zwar wieder abwarten, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es auf dieses Schreiben eine Standardantwort gibt, sie muss persönlich reagieren. Ich benetze den Brief mit etwas Sir Irish Moos, stecke ihn in ein Kuvert und trage ihn zur Post, um ihn per Einschreiben aufzugeben. Solche Briefe sind wichtig, da darf man nichts dem Zufall überlassen.
    Danach stehe ich mit leichtem Energiestau vor der Post herum. Wohin mit mir? Vielleicht sollte ich in die Redaktion der Stadtzeitung gehen, um meine unbekannte Gönnerin Susanne kennenzulernen? Ja, das werde ich tun. Ich beschließe, mich zu tarnen, um in der Redaktion nicht erkannt zu werden. Zwar glaube ich nicht, dass mich viele Redakteure kennen, aber ich möchte unbedingt vermeiden, dass Susanne mich sieht.
    Ich lege zu Hause meine Museumswärteruniform an, ziehe eine Schirmmütze auf und trage dazu eine dunkle Sonnenbrille. Zufrieden betrachte ich mich im Spiegel – ein vollkommen anderer Mensch steht mir gegenüber. Ich nehme ein Buch aus meinem Regal – »Marxismus für Manager« – und packe es als Geschenk ein, um es in der Redaktion abzugeben. Dann mache ich mich auf den Weg. Auf der Straße werde ich von niemandem weiter wahrgenommen, was mir zeigt, dass meine Tarnung perfekt ist. Je näher ich dem Redaktionsgebäude komme, desto unbehaglicher wird mir zumute. Wie bekomme ich heraus, wer Susanne ist? Sollte ich nach ihr fragen? Wen frage ich am besten? Wie kann ich verhindern, ihr gegenüberzustehen und erkannt zu werden? Was tue ich, wenn sie mich erkennen sollte? Mir bleibt nichts anderes übrig, als mich auf das Risiko einzulassen. Nach einigen verlegenen Minuten betrete ich den Eingang zum Zeitungsgebäude und bleibe vor dem Empfangstresen stehen. Ein Azubi sitzt dahinter und starrt mit kleinen Augen durch eine verchromte Nickelbrille auf einen Monitor. Ich stelle mich vor ihn hin und warte. Er hat mich zwar registriert, ignoriert mich aber geflissentlich.
    »Guten Tag.«
    »Guten Tag …«
    »…«
    »…«
    »Äh, ich suche jemanden in der Redaktion.«
    »Aha … wen denn dann?«
    Der Azubi hat seinen Blick noch immer nicht erhoben, sondern starrt auf seinen Monitor.
    »Fräulein Susanne.«
    »… Fräulein wen?«
    Er blickt zum ersten Mal auf, um mich gelangweilt zu mustern. Hinter mir betreten Menschen den Empfangsraum. Meine Nervosität steigt deutlich an.
    »Äh, ich glaube, sie heißt mit vollem Namen Susanne Sierich.«
    »Ah so … Die ist grade essen. Wer sind Sie denn dann? Wollen Sie vielleicht warten?«
    »Nein, nein, ich bin nur ein Kurier und soll hier etwas abgeben.«
    »Na, dann machen Sie das doch.«
    »Ich möchte aber sichergehen, dass es die richtige Susanne Sierich ist. Haben Sie vielleicht ein Foto von ihr hier?«
    Die Gäste hinter mir, die sich bis eben unterhalten haben, werden jetzt leise.
    »Ein Foto? Wozu das denn dann?«
    »Nur aus Sicherheitsgründen, nur aus Sicherheitsgründen …«, murmle ich, während mich der Azubi skeptisch ansieht. Ich komme ihm wahrscheinlich wie ein Stasi-Mann vor, der sich in Zeit und Raum verirrt hat. Ein verdeckter Ermittler, der durch ein spontan aufgetretenes Wurmloch an diesen Empfangstresen gespült wurde. Die Blicke der anderen Wartenden bohren sich in meinen Rücken.
    »Nein, Fotos von unseren Mitarbeitern führen wir nicht. Und die Ausweise müssen hier auch nicht hinterlegt werden …«
    »Ach so … das meinte ich ja auch gar nicht, bin ja schließlich nicht vom Staat, haha …«
    »… Bitte?«
    »Geben Sie Frau Sierich bitte dieses Paket, mit schönem Gruß von einem Herrn Sonntag.«
    »Is recht, Herr Sonntag, is recht.«
    »Nein … ich bin das nicht, ich bin nur der Bote von Herrn Sonntag, haben Sie das kapiert? Sie …«
    »Bitte – was?«
    Er schaut mich erwartungsvoll und herausfordernd an. Ich knalle das Paket erregt auf den Tresen und verlasse den Empfangsbereich, verdammter Idiot, verdammter! Alles zerstört hat er. Meinen Plan vernichtet hat er. Meinen investigativen Plan d’amour. Mieser, beschissener, kleiner, verpickelter, unbefriedigter, unterentwickelter, stinkender, verwichster Azubi, unterstes Glied aller sozialen Ketten. Lässt seine postpubertären Lehrlingsfrustrationen an mir aus. Steckt immer nur ein und freut sich, wenn er endlich mal jemanden trifft, den er auflaufen lassen kann. Aber wer ewig mit der Scheiße kämpft, wird auch als Sieger stinken. Ich sollte

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