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Tag der geschlossenen Tür

Tag der geschlossenen Tür

Titel: Tag der geschlossenen Tür Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rocko Schamoni
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Schließlich erleben sie Ähnliches alle paar Wochen, denn alles, was die Menschenwürde untergräbt, wird auf St. Pauli gehetzt, die sprichwörtliche Partydose der Pandora öffnen die Mächtigen der Stadt hier am laufenden Band. Ihnen in ihren teuren, gediegenen Wohnungen am Stadtrand ist das, was hier im Dreckspfuhl der Stadt passiert, ohnehin vollkommen egal.
    Hühner und ich laufen durch St. Pauli und suchen den Move. Interessant, wie wir angeschaut werden. Erst wendet man sich uns mit einem Lachen zu, doch beim zweiten Blick kommt das grausige Erwachen: Die haben ja Hitlerbärte, die tragen ja Hakenkreuze . Eltern schützen ihre Kinder. Buntperückte Partydohlen schütteln entrüstet ihre Köpfe. Aber wie richtige Nazis sehen die auch nicht aus, mit ihren Kittelchen und den Zauberstäben. Was sind denn das für Irre? Die sehen ja aus wie schwule Babynazis. Unsere Rätselhaftigkeit ist für die Mover nicht zu durchdringen. Am Nobistor stoßen wir auf den Hauptzug und schließen uns dem letzten Truck an. Der DJ hat irgendwas von Jürgen Drews aufgelegt, und ein Pulk von etwa hundertfünfzig besoffenen Tänzern raved ausgelassen und dumpf um den Wagen herum. Immer wieder werden den am Wege Stehenden und den Menschen in den Wohnungen Kusshände zugeworfen, eine Geste der Demütigung, eine Geste von Eroberern. Als wir anfangen, im Militärschritt zu marschieren, wirft man uns feindselige Blicke zu. Hühner schreit immer wieder: »Mama! Hilfe, Mama!« Dabei winkt er fröhlich und wirft Kusshände mit dem Hitlergruß in die Menge. Auch die Polizisten, die den Move begleiten, beobachten uns irritiert. Wir beginnen zu tanzen. Einige Passanten buhen oder drohen mit den Fäusten. Die übrigen Tanzenden fühlen sich von uns beschmutzt, aber noch wagt keiner, gegen uns vorzugehen, zu unberechenbar erscheinen wir allen. Ich springe zu einer Oma am Straßenrand und berühre sie mit meinem Nazizauberstab. »Put-put«, sage ich immer wieder. Sie lächelt mich gerührt an. Was sieht sie in mir? Eine schöne vergangene Zeit oder die Erinnerung an ihre Enkel in Strumpfhosen? Als Hühner und ich schließlich versuchen, den Truck zu erklimmen, um auf der fahrenden Tanzfläche zu agieren, hält man uns zurück. Ein Ordner kriegt Hühner am Kittel zu fassen und zieht ihn wieder vom Truck.
    »Was wollt ihr hier, ihr seid hier nicht erwünscht.«
    »Wer ist hier nicht erwünscht?«
    »Ihr beiden seid hier nicht erwünscht.«
    »Aber ihr alle seid hier auch nicht erwünscht.«
    »Was ist los?«
    »Ihr alle seid hier absolut unerwünscht. Wir wollen euch hier nicht.«
    »Wer sagt das?«
    »Wir sind die Sprecher des Bürgerrats von St. Pauli.«
    »Frechheit, ihr Nazischweine«, schreit eine St.-Paulianerin vom Bürgersteig. Einige Polizisten kommen näher heran. Man fragt uns nach unseren Papieren. Haben wir nicht. Als wir vorbringen, dass wir uns als Sprecher des gedemütigten Volkes von St. Pauli verstehen und unsere Maskerade als Kittel der Schändung zu deuten ist, werden wir wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses festgenommen.
    Den Rest des Nachmittags verbringen Hühner und ich auf der Davidwache, wo man uns stundenlang festhält und triezt. Man nimmt uns unsere Zaubererhüte und die Zauberstäbe weg, schließlich kriegen wir beide eine Anzeige. Auch müssen wir unsere Schminke entfernen. Dieser grässliche Tag findet ein adäquates Ende. Ab jetzt werde ich immer zum Move gehen. Mitmachen ist die einzige Chance zur Vernichtung des Feindes. Und nichts hört auf, wenn alles getan ist.

Sieben Frauen
     
    J edes Mal, wenn ich mich veräußert habe und an den Klippen der hässlichen Welt der Menschen zerschellt bin, muss ich mich erholen. Manchmal kann ich mich nicht mal mehr an schönen Waren erfreuen, weil mich das Menschliche und von Menschen Erschaffene so abstößt. All die anderen raubmordenden Gattungen sind ja schon schlimm genug, aber unsereiner sucht kraft des Intellekts noch nach Rechtfertigungen für all die unendlichen Schweinereien.
    Ich mag den Klang von Schritten auf Kies. Das weiche Eintauchen, das Klickern und Rauschen, das Knirschen und Schaben, das beständig Gleiche im Ungleichen. Dieses Geräusch beruhigt mich ungemein. Da ich meine Wohnung nicht mit Kies anfüllen kann, habe ich unter meine Hausschuhe Stoffbeutel genäht, die mit Kies gefüllt sind. Ich gehe durch die Wohnung und höre mir beim Schreiten über den Kies zu. Ein Spaziergang durch einen unendlichen Park. Wenn ich die Augen halb schließe und die

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