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Tag der Vergeltung

Tag der Vergeltung

Titel: Tag der Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liad Shoham
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du Wickelkind!«, unterbrach Dori seine Gedanken. »Ja, genau«, fuhr er fort, als es in der Leitung still blieb. »Ich habe überlegt, was ich mit dieser Story machen soll, das gebe ich zu. Zum einen will ich tatsächlich – das habe ich dir gesagt und es auch so gemeint –, dass du mit Nachum in dem Fall ermittelst und daraus eine große Story machst. Ich wünsche mir nichts anderes, als dass unsere Zeitung den Täter entlarvt. Zum anderen muss ein solcher Artikel einfach veröffentlicht werden. Nur schließt eins das andere aus. Ich wollte dich schon anrufen und dir sagen, dass wir veröffentlichen und deine Reportage kippen, aber dann habe ich kapiert, dass vielleicht doch beides machbar ist. Wenn wir den Artikel mit deinem Namen herausgebracht hätten, wärst du bei Nachum unten durch, erledigt. Er würde nicht mal mehr in deine Richtung pinkeln. Doch nun steht mein Name darunter und du kannst dich bei ihm ausheulen; dass dich dein Redakteur an der Nase herumgeführt hat, dir in den Rücken gefallen ist, was immer du meinst, und dass du unbedingt mit ihm weiterarbeiten willst. Um ein wenig Dramatik reinzubringen, kannst du noch eins draufsetzen und ihm sagen, dass du gekündigt hast. Kapierst du, Giladi? Zwei Fliegen. Der Artikel kommt heraus, und du kannst weiter ermitteln …«
    Mit dem, was Dori gerade gesagt hatte, hätte er im Leben nicht gerechnet. Nie wäre er auf einen solchen Schachzug gekommen.
    »Überleg doch mal«, fuhr Dori fort, »hatte ich denn eine Wahl? Ich klaue doch anderen Journalisten nicht die Artikel. Das weißt du doch. Im Gegenteil. Aber als Redakteur habe ich nun mal Verpflichtungen, ich muss in größeren Kontexten denken. Ich will, dass du weiter für uns arbeitest, Amit«, es war das erste Mal, dass er ihn beim Vornamen nannte, »und vor allem will ich, dass du diese Story übernimmst. Du und Nachum, ihr werdet zusammenarbeiten und den Täter finden. Da bin ich mir sicher. Das wird die große Story – und die gehört dir.«
    »Woher weiß ich, dass du mich nicht noch mal verarschst?« Er blieb hartnäckig, doch sein Widerstand bröckelte.
    »Komm in die Redaktion und wir machen das Ganze schriftlich fest. Weißt du was? Ich unterschreibe dir auch, dass der Artikel über Nachum von dir ist. Wie klingt das?«
    Er schwieg. Obwohl es ihm zuwider war, es sich einzugestehen – was Dori da sagte, ergab einen Sinn.
    »Warum hast du mir das nicht vorher erzählt? Wieso musste ich das aus der Zeitung erfahren?«, flammte erneut Zorn in ihm auf.
    »Junge, ich will, dass du dir eine raue Schale zulegst, du musst lernen, wie diese Welt funktioniert.«
    Amit wurde still. Das war die übliche Rechtfertigung, wenn er seine Angestellten schlecht behandelte.
    »Jetzt hör auf, wie ein Mädchen herumzuflennen, und mach dich an die Arbeit.« Da war wieder der gute alte Dori. »Und, Giladi … Das war das letzte Mal, dass du dir einfach so einen freien Vormittag genehmigt hast. Haben wir uns verstanden?«, sagte er und legte auf.

46
    Nach 35   Jahren im Geschäft war Rachel Zuriel, Bezirksstaatsanwältin von Tel Aviv, sicher, bereits alles gesehen zu haben, doch immer wieder musste sie erfahren, dass in ihrem Beruf die Überraschungen kein Ende nahmen.
    Sie stand auf, um Rechtsanwalt Jehoschua Borochov zu begrüßen. »Wie geht es Ihnen, Schuki? Wie schön, Sie zu sehen«, zwang sie sich, freundlich zu sein, und gab ihm die Hand.
    »Wie geht es Ariel, den Kindern und Enkeln?«, erkundigte er sich und gab ihr einen warmen Händedruck. Sie fragte sich, übrigens nicht zum ersten Mal, ob die Abscheu auf Gegenseitigkeit beruhte.
    Im Laufe ihrer langen Karriere hatte sie mit vielen Verteidigern zu tun gehabt. Einige schätzte sie mehr, andere weniger. Schuki Borochov gehörte zu einer Gruppe von Rechtsanwälten, die einer gesonderten Kategorie angehörten: Sie überschritten die Grenzen. Sie vertraten nicht nur kriminelle Organisationen, sondern arbeiteten innerhalb ihrer Strukturen, waren Fleisch von ihrem Fleisch. Obwohl sie und andere bestens Bescheid wussten, durfte Schuki Borochov sich weiterhin ungehindert Rechtsanwalt nennen. Er war Mitglied in mehreren Komitees der Rechtsanwaltskammer, glänzte auf jeder Veranstaltung, jeder Konferenz mit Anwesenheit, verwickelte Richter und Staatsanwälte ins Gespräch, hatte immer einen Witz parat und trug dick auf mit seinen Anekdoten über gute Restaurants in London, New York oder Paris. Als sie vor fünf Jahren zur Bezirksstaatsanwältin ernannt worden

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