Tag der Vergeltung
aus der Louis-Marshall. Wo ist das Ding? Hast du den Bullen erzählt, was du dort gemacht hast, du verdammter Mistkerl?«
»Ich habe keine Ahnung. Wirklich. Ich weiß nicht, was ich dir sagen soll. Wenn ich es wüsste, würde ich … Aber ich weiß es wirklich nicht …«, stotterte er.
Es war gerade diese Ohnmacht, die Meschulam bis aufs Äußerste reizte. Er hasste diese Waschlappen, die keine Selbstachtung hatten und herumjammerten wie Weiber. Auch weinerliche Frauen verabscheute er. Er versetzte Nevo einen Hieb ins Gesicht und hörte sein Nasenbein brechen.
»Wo ist deine Familie? Und lüg mich bloß nicht an!«
Nevo blieb still, fasste sich nur an die blutende Nase.
»Ich gebe dir einen guten Rat: Erzähl mir keine Märchen.«
Schweigen.
»Wer war in deiner Wohnung?«, brüllte er.
»Das war ein Bulle, der wegen der Vergewaltigung in Tel Aviv ermittelt … Ich habe nichts mit ihm zu tun …«, erwiderte Nevo. Er konnte selbst kaum verstehen, was er von sich gab.
»Was hatte der in deiner Wohnung zu suchen?« Meschulam war entsetzt.
»Ich weiß es nicht … Hat mich gesucht … Die halten mich für den Vergewaltiger …« Nevo war kaum noch zu verstehen.
Er stieß Nevo noch einmal die Faust in den Magen, der nun in die Knie ging. Er glaubte diesem elenden Wurm kein Wort. Er und der Bulle in der Wohnung standen sehr wohl in Verbindung. Machten gemeinsame Sache. Sonst wüsste er nicht, dass der Bulle bei ihm gewesen war, er traf sich mit ihm. Und sonst wäre das Auto da. Und seine Familie.
»Wo ist deine Familie?«, fragte er.
Nevo gab keine Antwort.
Er trat ihm gegen den Kopf.
Erst da kapierte er, dass Nevo zu schmächtig war, um diesen Schlag wegzustecken. So war das bei ihm – er war zu impulsiv, der Groschen fiel immer erst danach. Nevo hatte die Augen geschlossen. Erst dachte er, er hätte ihn erledigt. Dabei hatte Borochov ihm ausdrücklich gesagt, er solle auf ihn aufpassen, er sei ihr Trumpf. Er hielt zwei Finger an Nevos Halsschlagader, konnte den Puls fühlen und atmete auf. Nur bewusstlos.
48
Ausgerechnet die Stille der Wüste, die sie bei ihrer Ankunft so bezaubert hatte, jagte Merav nun Angst ein. Inzwischen waren bereits drei Tage vergangen, seit Ziv weggefahren war, und sie hatte nichts von ihm gehört. Er hatte gesagt, dass es dauern würde, aber sie war von einem Tag, höchstens zwei Tagen ausgegangen. Nun waren es schon drei, und es herrschte Funkstille.
Auch Gili wurde zappelig und fragte ununterbrochen, wann sein Vater zurückkäme. »Er kommt schon, mein Süßer«, versprach sie ihm, und jedes Mal drehte sich ihr aufs Neue der Magen um. Sie hatte ein schlechtes Gefühl.
Oriths geräumiges Haus wurde ihr auf einmal zu eng. Sie kam sich eingesperrt vor, war mit ihren Gedanken allein, putzte, kochte, aber die Angst ließ nicht nach und sie malte sich ein schreckliches Szenario nach dem anderen aus. In dieser unendlichen Landschaft, die sie in den ersten Tagen so genossen hatte, fühlte sie sich jetzt gottverlassen.
Er hatte sie ausdrücklich instruiert, weder ihn noch ihre Eltern anzurufen. Vor einigen Stunden hatte sie es nicht mehr ausgehalten und es auf seinem Handy probiert, doch es war ausgeschaltet. Auch bei den Eltern hatte sie sich gemeldet. Ihre Mutter klang völlig aufgelöst, fast hysterisch. »Wo bist du, Merav? Ich komme um vor Sorge«, sagte sie mehrmals, und Merav erwiderte nur: »Mir geht’s gut, Mama, mach dir keine Sorgen«, und legte schnell auf wie im Fernsehen, damit das Gespräch sich nicht zurückverfolgen ließe.
Letzte Nacht hatte sie fast kein Auge zugemacht. Sie hatte im Bett gelegen und war immer wieder von den Geräuschen der Nacht hochgeschreckt. Vor allem in der Zeit unmittelbar nach der Scheidung hatte sie Gilis Wunsch, die Nacht bei ihr zu verbringen, strikt abgelehnt – nun schlug sie ihm vor, in einem Bett zu schlafen. Sie lag auf der Seite, sah ihm beim Schlafen zu, zitterte vor Angst, wenn die Schakale heulten, sehnte sich danach, den Wagen, den sie Ziv geliehen hatte, kommen zu hören, wünschte sich, dass er hereinkäme und ihr sagen würde, alles sei vorbei.
Sie ging in das Zimmer von Assaf, Oriths großem Sohn, und machte seinen Computer an. Bisher hatte sie es vermieden, sie wollte nicht mehr als nötig in die Privatsphäre der Bewohner eindringen, doch länger konnte sie ihre selbst auferlegte Einsamkeit nicht ertragen. Vielleicht war Ziv etwas zugestoßen?
Die Schlagzeile auf der Nachrichtenseite, die sie geöffnet hatte,
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