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Tag der Vergeltung

Tag der Vergeltung

Titel: Tag der Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liad Shoham
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fragte sich, was an diesem Spiel so interessant war. Währenddessen versuchte er sich Worte zurechtzulegen, mit denen er ihr die morgige Gegenüberstellung plausibel machen konnte. Seit dem Streit hatten Irith und er kein Wort miteinander gewechselt. Gestern hatte er das Schweigen gebrochen und sie nochmals darum gebeten, sich nicht einzumischen, nichts zu sagen. Und obwohl sie wiederholt betont hatte, dass sie absolut nicht damit einverstanden sei, hatte sie es ihm versprochen.
    »Die Polizei hat mir gesagt, dass der Täter einen Rechtsanwalt engagiert hat, der nach Strich und Faden lügt und einem das Wort im Mund umdreht. Ein unausstehlicher Typ«, setzte er an.
    Adi nahm ihn kaum zur Kenntnis und spielte weiter.
    »Du musst dich gar nicht mit ihm befassen, auch nicht mit ihm reden. Doch wenn er dich fragt, ob du bereits ein Foto vom Täter gesehen hast, dann sag am besten Nein. Dann geht alles schnell über die Bühne und ohne Fragerei.«
    Er schaute sie an, war gespannt, wartete ab, wie sie reagieren würde. Sie schien ihn gar nicht zu hören.
    »Papa, ich weiß nicht … Ich glaube nicht, dass ich das machen will …«, sagte sie auf einmal, ohne die Augen vom Bildschirm zu nehmen.
    »Das ist keine große Sache, Adinka. Dieser Rechtsanwalt hat keine Bedeutung. Das ist nicht das Gericht …« Hatte Irith etwa doch mit ihr geredet?
    »Ich bin mir nicht sicher, dass er es ist.«
    Sie sagte es so leise, dass er aufhorchte. Er sah sie verblüfft an. »Was soll das heißen: ›Bin mir nicht sicher, dass er es ist?‹«
    »Es war dunkel«, erklärte sie, »sein Gesicht war fast komplett von dem Basecap verdeckt. Ich bin mir nicht sicher …«
    »Aber am Freitag hast du ihn identifiziert, wir haben doch hier in der Wohnung gesessen, und ich habe dir Fotos gezeigt. Du hast zu mir gesagt, dass er es ist, dass du ihn erkennst …«, sagte er, vollkommen verwirrt. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie sich plötzlich anders entscheiden würde. Wenn ein Problem auftauchen könnte, dann wegen der kleinen Lüge, um die Nachum sie gebeten hatte, so war es ihm auf der Fahrt hierher durch den Kopf gegangen.
    Sie antwortete ihm nicht und spielte weiter, bewegte rasant die Maus und klickte ununterbrochen auf dem Bildschirm herum.
    »Adi, sieh mich an …« In seiner Stimme schwang Zorn mit, er konnte ihn nicht länger unterdrücken. Warum musste in dieser Familie jede Sache ein solcher Akt sein?
    Sie wandte ihm den Kopf zu; erst da bemerkte er, dass sie weinte. Es zerriss ihm das Herz.
    »Mein Schatz, ich verstehe, dass dich diese Situation unter Druck setzt«, sagte er beinahe so leise, wie sie gesprochen hatte. »Mir ist auch klar, dass es unangenehm und irritierend ist. Doch lass dich davon nicht … Er ist es. Glaub mir, Adi, er ist es.«
    »Woher willst du das wissen?«, entgegnete sie scharf. Sie wandte sich wieder dem Bildschirm zu. »Warst du etwa dabei?«
    Ihre Worte versetzten ihm einen Stich. Was sollte er darauf schon sagen?
    »Er hat gestanden«, brachte er schließlich hervor, »die Polizei … sie haben mir gesagt, dass er die Vergewaltigung gestanden hat … Der Richter hat die Haft um sieben Tage verlängert.«
    »Wozu brauchen sie mich dann überhaupt? Wenn er gestanden hat … Sollen sie doch verwenden, was er ausgesagt hat … Ich will ihn … nicht sehen. Wozu brauchen die mich überhaupt?«, fragte sie erneut und klang wie ein kleines Mädchen.
    »Ich weiß nicht, warum sie dich brauchen, mein Herz, aber sie brauchen dich«, antwortete er, versuchte sie zu beruhigen, wie er es gemacht hatte, als sie klein gewesen war. »Ich nehme an, dass es sich um eine Prozedur handelt, die man durchlaufen muss, zu der man verpflichtet ist, wenn man gegen ihn Anklage erheben will …«
    Sie spielte weiter, ignorierte ihn fast völlig.
    »Adinka, sprich mit mir …«, flehte er sie an, »sie brauchen dich morgen dort …«
    »Aber ich habe dir doch gesagt, dass ich mir nicht sicher bin …« Sie blieb stur.
    »Ich verstehe, du bist irritiert … Das ist völlig verständlich.« Er wollte ihr die Fotos ins Gedächtnis rufen, die Identifizierung, die sie bereits vorgenommen hatte, doch sie schnitt ihm das Wort ab, stand abrupt auf, stieß den Stuhl dabei um und schrie: »Du hörst mir nicht zu! Ich habe es so satt, dass ihr mir nicht zuhört!«
    Er sah sie an, war wie betäubt, ratlos, seine Adi hatte nie geschrien. Sie war kein rebellisches Kind gewesen. Die Kinder ihrer Freunde hatten ihren Eltern so viele

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