Tag der Vergeltung
ich nicht …?« Ziv stotterte, der Rest des Satzes blieb ihm in der Kehle stecken. Er war nicht imstande, sich deutlicher zu artikulieren, die Möglichkeit zur Sprache zu bringen, dass er sich weigern könnte.
Me’ir grinste wieder.
»Dann wird Gili dafür büßen«, raunte er ihm ins Ohr.
Bei dem Namen seines Sohnes ging ein Beben durch Zivs Körper. Me’ir durchbohrte ihn mit seinem Blick.
»Wir haben uns verstanden?«, fragte er.
Wie hatte er in eine solche Situation geraten können? Was jetzt?
»Wir haben uns verstanden?«
Ziv nickte.
»Und noch eine Sache«, sagte Me’ir, der sich seine Hose abstaubte, »nachdem du gestanden hast, triffst du dich mit keinem und redest mit keinem. Kann sein, dass Leute in Faros Namen auf dich zukommen. Sogar Rechtsanwälte. Die tun nur so. Mit keinem, kapiert? Gestehe und dann halt’s Maul.«
18
Galith Lavi saß in ihrem Büro in der Staatsanwaltschaft und fragte sich, ob dieser Tag überhaupt noch schlimmer werden konnte. Es hatte mit einer Verhandlung zur Beweislage um neun Uhr morgens am Bezirksgericht von Tel Aviv begonnen: Ein Mann war angeklagt, seine Frau erstochen zu haben. Die Strafkammer hatte versucht, Druck auf sie auszuüben, damit sie sich darauf einließe, ein Strafmaß auszuhandeln und den Fall zu den Akten zu legen. »Wir schlagen vor – ohne einen Standpunkt zum Ausdruck zu bringen –, eine Reduzierung der Anklage auf Totschlag zu erwägen«, hatte Richter Brill, der Vorsitzende der Strafkammer, zu ihr gesagt. Als sie darauf nicht eingegangen war, hatten sie ihr mit einer möglichen Freisprechung gedroht, von dürftigem Tatbestand gesprochen, problematischen Beweisen usw.
Als junge, weniger erfahrene Anwältin hätte sie sich unter Umständen dem Druck des Gerichts gebeugt. Heute war sie widerstandsfähiger, hatte ein dickeres Fell. Heute durchschaute sie, dass dieser Druck vom persönlichen Interesse der Richter geprägt war, die Fälle abzuschließen, sich von Ballast zu befreien. Daher hatte sie trotz dieses massiven Angriffs vonseiten der Strafkammer freundlich dargelegt, der Staat vertrete die Ansicht, dass angesichts der in dem Fall vorliegenden Beweise an der Anklage wegen Mordes festzuhalten sei.
Als sie um elf Uhr in ihr Büro zurückkehrte, war ihr zumute, als wäre sie von einer Walze plattgemacht worden. Sie überlegte kurz, ob sie in einem Café um die Ecke eine Pause einlegen sollte, bevor sie die Berge von Arbeit abtragen würde, die sie an dem Tag erwarteten. Da tauchte Eli Nachum in ihrem Büro auf. Er hatte sie schon gestern dringend um ein Treffen gebeten, jetzt fiel es ihr wieder ein.
Sie hörte ihm verhalten zu, als er ihr reinen Wein einschenkte: Er erzählte von einer fingierten Gegenüberstellung und dem falschen Bericht zur Verlängerung der Untersuchungshaft. Als er ihr darüber hinaus noch anvertraute, dass er den Beschuldigten während der Vernehmung unter Druck gesetzt und dessen Bitte, sich mit einem Rechtsanwalt zu besprechen, ignoriert habe, setzte prompt der Kopfschmerz ein. Und als er noch eins draufsetzte und damit herausrückte, dass Adi Regev ihn in seinem Büro aufgesucht habe, wollte sie an Ort und Stelle im Erdboden versinken.
Sie kochte vor Wut. Dass ihr Fehler und Versäumnisse der Polizei zu Ohren kamen, war sie gewohnt, aber von ihm hätte sie mehr, bedeutend mehr erwartet. Schließlich war er mit sämtlichen Regeln und Gesetzen, an die sie gebunden waren, bestens vertraut und wusste auch, was deren Missachtung zur Folge hatte. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Wie konnte ein alter Hase wie er derartige Fehler machen? Sie wollte ihm eine Rüge erteilen, die sich gewaschen hatte, beherrschte sich aber. Sie kannte Eli aus vorherigen Fällen, schätzte und respektierte ihn, und er schien so niedergeschlagen und beunruhigt zu sein, dass jede Bemerkung ihrerseits überflüssig war. Persönliche Konsequenzen würden sich für ihn ohnehin ergeben, denn in der Polizeibehörde gab es genügend Verantwortliche, die nicht einfach zur Tagesordnung übergingen. Das wusste er.
Nun oblag es ihr, zu entscheiden, wie sie mit diesen Informationen umgehen und in dem Fall verfahren sollte. Heute Morgen hatten sie angekündigt, eine Anklageschrift einzureichen sowie einen Antrag auf Verlängerung der Untersuchungshaft bis zum Abschluss des Verfahrens. Nun blieben ihr fünf Tage. Würde innerhalb dieser Frist keine Anklageschrift eingereicht, käme Nevo auf freien Fuß. Ohne die Zustimmung von Rachel Zuriel, der
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