Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tag des Opritschniks, Der

Tag des Opritschniks, Der

Titel: Tag des Opritschniks, Der Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
Vom Netzwerk:
Abteilungsleiter äußert den halbherzigen Vorschlag, einen jüngeren Puschkin aufzubieten – seit zehn, zwölf Jahren spielt immer derselbe Chapenski diese Rolle, der schon nicht mehr der Jüngste ist. Aber wir wissen, der Vorschlag wird nicht fruchten, denn Chapenski hat beim Gossudaren einen Stein im Brett. Der Spielleiter zuckt die Achseln, hebt bedauernd die Hände: »Das steht nicht in meiner Macht, meine Herren, bitte haben Sie Verständnis …«
    Wir haben.
    Nun aber kommt die Hauptsache. Die Nummer aus aktuellem Anlass mit dem Titel »Ha! Von wegen!«
    Alle sind angespannt, rutschen nervös in ihren Sesseln herum. Auf der Bühne ist es finster, nur der Wind heult, und die Dombras und Balalaikas klimpern ein bisschen. Dann kriecht der Mond hinter den Wolken hervor, legt alles in ein funzliges Licht. In der Bühnenmitte erkennen wir das Westrohr Nr. 3. Das nämliche. Dessenthalben es die letzten anderthalb Jahre so viel Tamtam gab, so viele Sorgen und Scherereien. Im Halbdunkel schimmernd, zieht und windet sich das Rohr quer über die Bühne, durch russischen Wald und russisches Feld, bis es auf die Westmauer stößt und ein Absperrventil mit der Aufschrift GESCHLOSSEN. Dahinter geht das Rohr durch die Mauer und verliert sich in Richtung Westen. Oben auf der Mauer steht einer unserer Grenzschützer mit einer Strahlenkanone und schaut durch den Feldstecher nach drüben. Auf einmal geraten die Dombras und Balalaikas in Erregung, die Bässe schwellen unheildrohend – nebendem Absperrventil sieht man einen Maulwurfshügel wachsen. Sekunden später kommt ein spitzmäuliger Diversant mit schwarzer Sonnenbrille aus dem Hügel gekrochen, späht in die Runde, schnüffelt herum, hüpft hoch, kriegt den Ventilschieber zu fassen, zerrt mit aller Kraft, nimmt seine riesigen Zähne zu Hilfe … Gleich hat er es geschafft, gleich strömt das Gas! Aber da fährt ein schneidender Blitz von der Mauer herab, schneidet den Maulwurf mitten entzwei, dass die Maulwurfsgedärme hervorquellen und der eingeschleuste Gasdieb seinen Geist aufgibt. Licht flammt auf, drei wackere Grenzer kommen mit verwegenen Saltos und jungenhaften Pfiffen von der Mauer gesprungen. Der eine hält eine Ziehharmonika in Händen, der zweite eine Schellentrommel, der dritte ein Paar Holzlöffel. Ihre treuen, treffsicheren Kanonen haben sie über der Schulter hängen. Die tapferen Grenzer führen einen Tanz auf und singen dazu:
     
    Auf Geheiß des Gossudaren
    Ward der Hahn hier zugedreht …
    »Checken« wollten die Barbaren,
    Ob was anzuzapfen geht.
     
    Hat kein Aug’ man auf die Diebe,
    Wachsen flugs aus Rohr und Tank
    Viele kleine Seitentriebe.
    Gern friert auch kein Cyberpunk!
     
    Doch wir zeigen es den Fexen.
    Bei Schmarotzern sehn wir rot.
    Hat sich was, Europa-Exxon!
    Klappe zu und Affe tot!
     
    Hat’s der Maulwurf noch nicht über,
    Kriegt er es von uns gesteckt:
    Gasen wir ihm einen rüber,
    Dass der Westen dran verreckt!
     
    Bei diesen Worten hebelt einer der Grenzsoldaten das Ventil auf, die beiden anderen springen herzu, halten ihre Hinterteile an den Rohrstutzen und furzen. Mit düsterem Fauchen fährt der Jungmännerfurz durch das Rohr, durch die Mauer … Prompt hebt drüben ein großes Heulen und Wehklagen an. Der Schlussakkord erklingt, die drei springen behände auf das Rohr hinauf und schwenken triumphierend ihre Kanonen. Vorhang.
    Die hohen Herren im Publikum erwachen aus ihrer Andacht. Sie blicken zu Fürst Sobakin hinüber. Der zwirbelt seinen Schnurrbart und denkt nach.
    »Nun denn, meine Herren«, spricht er sodann. »Ihre Meinung?«
    Tischvorsteher: »Ich sehe ein deutliches Element von Schweinigelei. Ansonsten ist die Sache aktuell, und Pfiff hat sie auch.«
    Aufsichtsführender: »Erstens gefällt mir nicht, dass der feindliche Kundschafter getötet wird und nicht bei lebendigem Leibe ergriffen. Und zweitens frage ich mich, wieso es nur drei Grenzer sind? Eine Wache besteht aus zwölf Mann, soviel ich weiß. Also sollten da auch zwölf Mann auf der Bühne erscheinen. Dann fiele der Furz gleich viel kräftiger aus.«
    Ich: »Was die Truppenstärke betrifft, so schließe ich mich meinem Vorredner an. Die Nummer hat ihren Sinn, sie zielt auf einen aktuellen Anlass. Aber ein Element von Schweinigelei ist dabei. Und das, obwohl unser Gossudar bekanntlich ein Verfechter von Reinheit und Keuschheit auf der Bühne ist.«
    Fürst Sobakin schweigt und nickt. Dann spricht er: »Sagen Sie, meine Herren, der Schwefelwasserstoff, den

Weitere Kostenlose Bücher