Tag des Opritschniks, Der
widerfährt hier einem jeden – selbst Grafen, Fürsten oder Würdenträger aus dem Engsten Kreis müssen den Kimono anziehen, bevor sie zur Wahrsagerin vorgelassen werden.
Nun betrete ich die inneren Räumlichkeiten. Dort ist es wie immer: kein Mensch, kein Laut. Im Halbdunkel sind chinesische Vasen zu erkennen, Tierplastikenaus Stein. Hieroglyphen schimmern an den Wänden, künden von Weisheit und Ewigkeit.
Stimme eines Chinesen von hinten: »Die Meisterin erwartet Euch am Kamin.«
Aha. Wieder einmal wird die Unterredung im Kaminsaal stattfinden. Praskowja liebt es, Gespräche am offenen Feuer zu führen. Oder liegt es nur daran, dass sie leicht friert? Ins Feuer zu blicken kann jedenfalls ein großes Vergnügen sein. Wie der Alte zu sagen pflegt, gibt es drei Dinge, an denen man sich nicht sattsehen kann: das Feuer, das Meer und wie andere arbeiten.
Ich werde von den lautlosen Wächtern in den Kaminsaal geführt. Auch hier ist es schummrig und still. Nur das Holz im ausladenden Kamin lodert und knackt. Aber es sind nicht bloß Scheite, die da brennen, es sind auch Bücher. Bücher und Birkenholz – die altbekannte Mischung im Kamin der Wahrsagerin. Genauso neben dem Kamin: ein Stapel Holz, ein Stapel Bücher. Ich bin gespannt, was Praskowja diesmal den Flammen opfern wird. Beim letzten Mal waren es Gedichte.
Ein Türklappen, ein Schlurfen. Sie ist da.
Ich wende mich um. Die Wahrsagerin Praskowja auf ihren leuchtend blauen Krücken kommt, die dünnen Beine nachziehend, auf mich zu. Starre Heiterkeit in den Augen, die fest auf mich gerichtet sind. Schlurf, schlurf, machen ihre Füße auf dem Granitboden. Das ist ihr Klang.
»Grüß dich, mein Täubchen.«
»Sei gegrüßt, Praskowja Mamontowna.«
Ihre Bewegungen sind zügig und elegant wie die einer Eisläuferin. Erst ganz nahe vor mir kommt sie zum Stehen. Ich sehe in ihr Gesicht. Es ist ungewöhnlich. So eines gibt es in Russland kein zweites Mal. Es ist weder weiblich noch männlich, weder alt noch jung, wedertraurig noch froh, weder böse noch gut. Nur ihre grünen Augen sind immer irgendwie heiter. Eine Heiterkeit, die uns Normalsterblichen unbegreiflich bleibt. Was dahinter steht, weiß der liebe Gott allein.
»Gut gelandet?«
»Jawohl, Praskowja Mamontowna.«
»Setz dich.«
Ich setze mich in den Sessel vor dem Kamin. Sie sinkt auf ihren Ebenholzstuhl. Nickt dem Diener zu. Der nimmt ein Buch vom Stapel und wirft es ins Feuer.
»Wieder in der alten Angelegenheit?«
»Der nämlichen.«
»Das Alte, es ist wie ein im Wasser liegender Stein. Um ihn her schnellen die Fische durch das Nass, während drüber die Sturmvögel fliegen, in den Lüften sich wiegen, Vögel fein und weich, sind den Menschen gleich. Menschen drehen sich im Kreis, rückwärts zu gehen keiner weiß. Leben auf großem Fuß, reden nichts als Stuss, knicken aus den Hüften, ummauern sich mit Grüften, fahr’n in die Erde nieder, Weiber gebär’n sie wieder.«
Sie verstummt und blickt ins Feuer. Ich sage nichts. Vor ihr stellt sich immer eine gewisse Schüchternheit ein. Nicht einmal vor dem Gossudaren spüre ich Hemmungen wie gegenüber Praskowja.
»Hast du wieder Haare dabei?«
»Jawohl.«
»Und ein Leibchen?«
»Auch ein Leibchen hab ich mitgebracht, Praskowja Mamontowna.«
»Mannes Leibchen, schneid ab ein Scheibchen! Kommt herum, bleibt nicht dumm, sieht gar so manches, wird lasch und ranzig, erholt sich beim Waschen, beim Trocknen, beim Bügeln, kann wieder lügen, schmiegt sich an den Leib, betöret das Weib.«
Sie schaut in den Kamin. Dort brennt »Der Idiot« von Fjodor Michailowitsch Dostojewski. Er hat vom Rücken her Feuer gefangen, der Einband qualmt schon. Und wieder gibt die Wahrsagerin dem Diener ein Zeichen. Er wirft das nächste Buch in den Kamin: Diesmal ist es »Anna Karenina« von Lew Nikolajewitsch Tolstoi. Der schwere Band plumpst in die orangene Glut, liegt eine Weile, flammt dann mit einem Mal auf. Ich schaue gebannt.
»Was guckst du so? Als ob du noch nie Bücher verbrannt hättest!«
»Bei uns, Praskowja Mamontowna, werden nur schädliche Bücher den Flammen übergeben. Schamlose oder staatsfeindliche.«
»Und die hier, meinst du, wären nützlich?«
»Die russische Klassik ist staatstragend.«
»Außer Fachbüchern sollte es überhaupt keine Bücher geben, mein Täubchen. Nur Bücher über das Zimmern, über das Ofensetzen, über das Häuserbauen, über das Stromlegen und über das Schiffebauen. Über das Fummeln und über das Frickeln,
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