Tag und Nacht und auch im Sommer
den richtigen Stoff verursacht mir wieder Unbehagen. Die halten sich an den Lehrplan, bereiten die Schüler auf die höhere Bildung und die große Welt danach vor. Wir sind nicht zu unserem Vergnügen hier, Lehrer.
Das ist die Stuyvesant High School, das Kronjuwel des New Yorker Schulsystems. Diese jungen Leute sind die Gescheitesten der Gescheiten. In einem Jahr werden sie zu Füßen eminenter Professoren an den besten Universitäten des Landes sitzen. Sie werden sich Notizen machen und Wörter abschreiben, die sie nachschlagen müssen. Da wird keine Zeit mehr vertrödelt mit Kochbüchern und nahrhaften Wortschatzübungen im Park. Es wird nur noch Zielstrebigkeit, Konzentration und ernsthaftes Studieren geben, und was ist wohl aus dem Lehrer geworden, den wir damals an der Stuyvesant hatten, ihr wißt schon, welchen.
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A m Montag werde ich die Katze aus dem Sack lassen. Es wird allgemeines Gestöhn geben, gedämpfte Buhrufe und geflüsterte Bemerkungen über meine Mutter, aber ich muß wieder auf den rechten Weg zurückkehren wie all die anderen gewissenhaften Lehrer. Ich werde meine Schüler daran erinnern, daß es die Aufgabe ihrer Schule ist, sie auf die besten Colleges und Universitäten vorzubereiten, damit sie eines Tages ihren Abschluß machen und einen wichtigen Beitrag zum Wohlergehen und zum Fortschritt dieses Landes leisten können, denn wenn dieses Land zittert und zagt, welche Hoffnung gäbe es dann noch für den Rest der Welt? Ihr werdet große Verantwortung tragen, und es wäre kriminell von mir, eurem Lehrer, euer junges Leben mit dem Vorlesen von Rezepten zu vergeuden, auch wenn ihr das noch so gern macht.
Sicher, wir haben alle viel Spaß damit gehabt, Rezepte mit Musikbegleitung vorzulesen, aber dazu sind wir nicht auf der Welt. Wir müssen weiterkommen. Das ist der American Way.
Mr. McCourt, warum sollen wir keine Rezepte mehr lesen? Ist ein Hackbratenrezept nicht genauso wichtig wie diese Gedichte, die sowieso kein Mensch versteht? Ohne Lyrik kann man leben, ohne Essen nicht.
Ich versuchte, Walt Whitman und Robert Frost gegenüber Hackbraten und Kochrezepten allgemein aufzuwerten, geriet aber ins Schwafeln und gab auf.
Sie stöhnen abermals, als ich ankündige, daß ich mein Lieblingsgedicht aufsagen werde. Das kotzt mich an, und ich sage, ihr kotzt mich an. Schockiertes Schweigen. Ein Lehrer, der Gossensprache benutzt. Aber bitte. Rezitieren Sie Ihr Gedicht.
Elsi, die Brave, verliert ihre Schafe,
Sie kann sie nirgends mehr finden.
Laß sie nur sein, sie kommen schon heim,
Und wackeln mit den Schwänzchen klein.
Mann, was soll das denn? Das ist doch kein Gedicht. Wir sind hier auf der High School, und der tischt uns Mutter Gans auf! Will der uns verscheißern? Spielchen mit uns spielen?
Ich sage das Gedicht noch einmal auf und gebe ihnen den Rat, keine Zeit mit der Suche nach einem tieferen Sinn zu vertun.
Ach, kommen Sie. Was soll der Quatsch? Mann, wir sind hier auf der High School.
Oberflächlich betrachtet, ist das Gedicht, ein Ammenreim, simpel – eine einfache Geschichte von einem kleinen Mädchen, das seine Schafe verloren hat. Aber paßt auf. Das ist wichtig. Sie hat gelernt, daß sie die Schafe auch mal sich selbst überlassen muß. Elsi ist cool. Sie vertraut ihren Schafen. Sie denkt nicht daran, sie herumzukommandieren, wenn sie auf dem Berg und im Tal, im Wald und auf der Wiese weiden. Sie brauchen ihr Gras, ihr Rauhfutter und gelegentlich einen Trunk aus einem murmelnden Gebirgsbach. Außerdem haben sie Lämmchen, und die brauchen die Kuschelzeit mit ihren Müttern, nachdem sie den ganzen Tag mit ihren Altersgenossen herumgetollt sind. Da darf die Welt nicht dazwischenfunken und die Stimmung kaputtmachen. Mögen sie auch nur Schafe sein, Lämmer, Mutterschafe, Böcke, haben sie doch ein Anrecht auf ein bißchen gemeinsames Glück, bevor sie zu dem Fleisch werden, das wir verschlingen, zu der Wolle, die wir tragen.
Ach, Mann, Mr. McCourt, mußte das jetzt sein, dieses Ende? Warum haben Sie sie nicht einfach da draußen gelassen, die Schafe und die Lämmer, wo sie so schön beisammen sind und sich ihres Lebens freuen? Wir essen sie, wir tragen sie. Das ist gemein.
Es sind Vegetarier und Veganer in der Klasse, die hier und jetzt ihrem Schöpfer danken, daß sie nichts mit der Ausbeutung dieser armen Tiere zu tun haben, und könnten wir nicht noch einmal auf Elsi zurückkommen? Sie wüßten gern, ob ich auf etwas Bestimmtes hinauswolle.
Nein, ich will auf nichts
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