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Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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und gab mir das Mikrophon zurück. Ich weiß nicht, warum ich Ihnen das erzähl. Sie sind bloß ein Lehrer. Bloß ein Weißer. Sie wandte sich ab und ging an ihren Platz zurück. Sie setzte sich züchtig hin und faltete die Hände auf dem Tisch. Sie hatte mich in die
Schranken gewiesen, und die ganze Klasse hatte es mitbekommen.
    Zum ersten Mal in diesem Halbjahr war es still im Raum. Sie warteten darauf, daß ich den nächsten Schritt tat, aber ich war wie gelähmt, stand mit dem Mikrophon in der Hand da, während das Band weiterlief und nichts aufzeichnete.
    Noch jemand? fragte ich.
    Sie starrten mich an. War es Verachtung?
    Eine meldete sich. Maria, die Aufgeweckte, Gutgekleidete, die ihr Heft ordentlich führte, hatte eine Frage.
    Mister, wieso machen andere Klassen Ausflüge und wir fahren nie wohin? Wir hocken hier bloß rum und sprechen in ein blödes Tonbandgerät. Wieso?
    Genau, sagten die anderen. Wieso?
    Andere Klassen gehen ins Kino. Warum dürfen wir nicht ins Kino?
    Sie schauten mich an, redeten mit mir, erkannten an, daß ich existierte, bezogen mich in ihre Welt ein. Wäre jemand in diesem Augenblick hereingekommen, hätte er gesagt, oh, endlich mal ein Lehrer, der echten Kontakt zu seiner Klasse herstellt. Seht euch diese aufgeweckten jungen Mädchen an und die zwei Jungen, und alle hängen sie an den Lippen des Lehrers. Man könnte glatt ans staatliche Schulsystem glauben.
    Also dann, sagte ich und fühlte mich wie einer, der zu bestimmen hat, welchen Film möchtet ihr denn gern sehen?
    Cold Turkey , sagte Maria. Mein Bruder hat den gesehen, der läuft am Broadway, nicht weit vom Times Square.
    Nö, sagte Serena. Da geht’s bloß um Drogen. Cold Turkey ist, wenn du die Drogen einfach absetzt. Und in keine Klinik und zu keinem Arzt gehst.
    Maria meinte, ihr Bruder hätte nichts von Drogen erzählt. Serena schaute zur Decke. Dein Bruder ist genauso naiv wie du. Dein Bruder hat keinen Schimmer.
    Am nächsten Tag hatten sie Bestätigungen ihrer Eltern dabei,
daß sie einen Ausflug machen durften, um sich einen Film anzusehen. Die Hälfte davon war gefälscht, abgefaßt in dem pompösen Stil, den Eltern vermeintlich verwenden, wenn sie einem Lehrer schreiben.
    Als sich herausstellte, daß die beiden Jungen keine Zettel von ihren Eltern dabei hatten, muckten die Mädchen auf. Wieso kommen die nicht mit ins Kino? Wir haben den ganzen Aufstand mit der Erlaubnis und müssen diesen Film ansehn, und die haben einen Tag schulfrei. Wieso?
    Um die Mädchen zu besänftigen, sagte ich den Jungen, sie müßten einen kurzen Bericht schreiben, wie sie den Tag verbracht hätten. Die Mädchen sagten, ja, ja, und die Jungen waren sauer.
    Die U-Bahnstation war sechs Straßen weiter, und der Trupp von neunundzwanzig schwarzen Mädchen und einem weißen Lehrer erregte Aufsehen. Ladenbesitzer riefen, ich solle gefälligst aufpassen, daß die ihre Dreckpfoten von ihren Waren lassen. Können Sie diese gottverdammte Negerbande nicht in Schach halten?
    Sie rannten in Geschäfte, um sich Schokoriegel, Hot dogs und rosa Limo zu kaufen. Sie sagten, rosa Limo ist die beste, und warum kriegen wir die nicht auch in der Kantine? Immer nur diese blöden Säfte, die nach Spülmittel oder Milch schmecken.
    Die Treppe hinunter, hinein in den U-Bahnhof. Ticket brauchen wir keins. Springt über die Drehkreuze, rennt durch die Sperren. Der Mann am Schalter brüllte, he, he, ihr müßt zahlen. Zahlt verdammt noch mal den Fahrpreis. Ich blieb ein paar Schritte hinter ihnen, besser, der Mann am Schalter merkte nicht, daß ich zu der wilden Horde gehörte.
    Sie rannten auf dem Bahnsteig hin und her. Wo bleibt die blöde U-Bahn? Wann kommt die endlich?
    Sie taten so, als wollten sie sich gegenseitig auf die Schienen stoßen. Mister, Mister, die will mich umbringen, Mister. Haben Sie das gesehen?

    Wartende Fahrgäste warfen mir böse Blicke zu. Ein Mann sagte, warum bleiben die nicht dort, wo sie hingehören? Die können sich offensichtlich nicht wie normale Menschen benehmen.
    Ich wäre gern ein tapferer, umsichtiger, engagierter Lehrer gewesen und hätte ihn zur Rede gestellt, hätte meine achtundzwanzig außer Rand und Band geratenen schwarzen Gören in Schutz genommen – und Maria dazu, Maria, die Ausnahme, die Initiatorin. Aber ich war alles andere als tapfer, und was hätte ich denn sagen sollen? Versuchen Sie’s doch mal, Sie beleidigter Schlaumeier. Versuchen Sie mal, mit neunundzwanzig schwarzen Mädchen U-Bahn zu fahren, lauter

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