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Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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Geheiratet hat sie Gus Peterson. Ich muß jetzt gehen und mein Schließfach ausräumen.
Mein Dad zieht nach Chicago, und ich gehe mit ihm und meiner Stiefmutter mit. Komisch, oder? Jetzt hab ich einen Stiefvater und eine Stiefmutter, und es ist trotzdem okay.
    Wir gaben uns die Hand, und ich sah ihm nach, wie er den Korridor entlangging. Bevor er zu den Schließfächern abbog, drehte er sich um und winkte mir, und mir ging kurz die Frage durch den Kopf, ob ich die Vergangenheit einfach so ziehen lassen sollte.
     
    Die Schulweisheit sagt: Drohe nie einem einzelnen oder einer Klasse, wenn du die Drohung nicht wahrmachen kannst. Und sei vor allem nicht so blöd, Benny »Bumbum« Brandt zu drohen, der an der Schule berühmt dafür ist, daß er den schwarzen Gürtel in Karate besitzt.
    Nachdem er vier Tage hintereinander gefehlt hat, kommt er ins Klassenzimmer geschlendert, mitten in einer Stunde über Fremdwörter im Englischen: Amen, Pasta, Chef, Sushi, Limousine und die Wörter, bei denen das Kichern losgeht, Rendezvous, Dessous, Bidet.
    Ich könnte Bumbum ignorieren, einfach weitermachen und ihn an seinen Platz gehen lassen. Aber ich weiß, die anderen warten gespannt und denken, wieso müssen wir jedesmal eine Entschuldigung bringen, wenn wir gefehlt haben, und Bumbum kommt einfach reingelatscht und setzt sich hin? Sie haben recht, ich denke genauso, und ich muß beweisen, daß ich kein Weichling bin.
    Moment mal. Es soll sarkastisch klingen.
    Er bleibt an der Tür stehen. Ja?
    Ich spiele mit einem Stück Kreide, um Überlegenheit zu demonstrieren. Ich schwanke zwischen Wohin willst du? und Glaubst du, du kannst hier so einfach reinspazieren? Der erste Satz könnte wie eine normale Frage klingen, mit einem leisen Unterton von Autorität. Der zweite Satz könnte als Herausforderung ausgelegt werden und Ärger machen. Wie auch immer,
der Ton macht die Musik. Ich entscheide mich für eine neutralere Version.
    Moment mal. Hast du eine Bescheinigung? Nach längerem Fehlen braucht man eine Bescheinigung vom Rektorat.
    Hier spricht der Lehrer. Er repräsentiert die Autorität: das Rektorat am Ende des Gangs, das Bescheinigungen jeder Art ausstellt, den Rektor, den Schulrat, den Bürgermeister, den Präsidenten, Gott. Diese Rolle liegt mir nicht. Ich bin hier, um Englisch zu unterrichten, nicht, um Bescheinigungen einzusammeln.
    Brandt fragt: Und, wen juckt’s? Es klingt fast freundlich, nach aufrichtiger Neugier, aber durch die Klasse geht ein erschrockenes Raunen.
    Ach du Scheiße, sagt Ralphie Boyce.
    High-School-Lehrer werden von ihren Vorgesetzten ermahnt, keine Gossensprache im Unterricht zu dulden. Solche Sprache ist respektlos und könnte zum Zusammenbruch von Recht und Ordnung führen. Ich würde Ralphie gern rügen, aber ich kann nicht, denn was mir im selben Moment durch den Kopf geht, ist, ach du Scheiße.
    Brandt steht mit dem Rücken zur Tür, die hinter ihm ins Schloß gefallen ist. Er macht einen friedfertigen Eindruck.
    Woher kommt die plötzliche Sympathie, die ich für diesen ungeschlachten zukünftigen Klempner aus der Delancey Street in Manhattan empfinde? Liegt es daran, daß er so geduldig dasteht und abwartet, im Blick fast etwas wie Milde? Er wirkt so vernünftig und bedächtig. Also, warum nicht einfach die Lehrernummer vergessen und ihm sagen, schon gut, Brandt, setz dich hin. Vergessen wir diesmal die Bescheinigung, aber versuch das nächste Mal dran zu denken. Doch ich habe mich schon zu weit vorgewagt. Seine Klassenkameraden sind Zeugen, irgend etwas muß geschehen.
    Ich werfe die Kreide in die Luft und fange sie auf. Brandt schaut zu. Ich mache einen Schritt auf ihn zu. Das soll nicht mein
Todestag werden, aber die Klasse wartet, und ich muß eine Antwort geben auf seine Frage: Und, wen juckt’s?
    Ich werfe die Kreide hoch, vielleicht zum letzten Mal in meinem Leben, und sage, mich.
    Er nickt, wie um zu sagen, gebongt. Sie sind der Lehrer, Mann.
    Die Sympathie meldet sich wieder, und es drängt mich, ihm auf die Schulter zu klopfen, ihm zu sagen, vergiß die ganze Sache und setz dich einfach, Brandt.
    Ich werfe die Kreide noch einmal hoch, aber sie fällt auf den Boden. Es ist absolut unumgänglich, daß die Kreide aufgehoben wird. Ich bücke mich nach ihr und sehe dicht vor mir, einladend, Brandts Fuß, er bietet sich mir förmlich an. Ich packe ihn. Ein Ruck, und Brandt fällt nach hinten, schlägt sich den Kopf am Messing-Türknauf an, rutscht auf den Boden und bleibt friedlich liegen,

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