Tag und Nacht und auch im Sommer
als überlegte er, wie es jetzt weitergeht. Wieder das Raunen in der Klasse. Wow.
Er reibt sich den Hinterkopf. Bereitet er sich auf einen blitzschnellen Hieb, Handkantenschlag, Tritt vor?
Scheiße, Mr. McCourt, ich hab nicht gewußt, daß Sie Karate können.
Es sieht so aus, als hätte ich gewonnen, und ich bin am Zug. Okay, Benny, du kannst dich setzen.
Darfst.
Was?
Alle Lehrer sagen, du darfst dich setzen. Bumbum korrigiert mich. Bin ich im Tollhaus?
Okay. Du darfst dich setzen.
Sie wollen also keine Bescheinigung oder so?
Nein. Ist schon gut.
Also haben wir um nichts gekämpft?
Auf dem Weg zu seinem Platz zertritt Bumbum die Kreide und sieht mich an. War das Absicht? Sollte ich es ansprechen? Nein. Eine innere Stimme sagt mir: Mach mit deinem Unterricht
weiter. Hör auf, dich wie ein Teenager zu benehmen. Der Junge könnte dich in zwei Teile zerbrechen. Lehrer, mach weiter mit deiner Stunde über Fremdwörter im Englischen.
Brandt tut so, als sei nie etwas gewesen zwischen uns, und ich schäme mich so, daß ich mich am liebsten bei der ganzen Klasse und besonders bei ihm entschuldigen würde. Ich mache mir Vorwürfe, weil das, was ich getan habe, so billig war. Jetzt bewundern sie mich wegen meiner vermeintlichen Karatekünste. Ich mache den Mund auf und plappere drauflos.
Stellt euch vor, wie unsere Sprache ohne die französischen Wörter wäre. Dann könntet ihr euern Chauffeur nicht mehr anweisen, mit der Limousine vorzufahren. Ihr könntet in kein Restaurant gehen. Keine Cuisine mehr, kein Gourmet, keine Sauce, kein Menü, kein Chef, kein Parfum. Und ihr könntet keine Dessous mehr kaufen, sondern nur noch Unterwäsche.
Tuschel, tuschel. Kicher, kicher. Oh, Mr. McCourt, was Sie aber auch immer sagen.
So bringe ich sie von dem Zwischenfall ab. Ich fühle mich als Sieger an allen Fronten, bis ich zu Brandt hinüberschaue. In seinen Augen glaube ich zu lesen, okay, Mr. McCourt. Wahrscheinlich hatten Sie’s nötig, eine gute Figur zu machen, also soll’s mir recht sein.
Er war intelligent genug, um die staatliche Prüfung in Englisch zu bestehen. Er hätte einen passablen Aufsatz schreiben und eine ausreichende Note bekommen können, aber er zog es vor zu scheitern. Er ignorierte die Liste der vorgeschlagenen Themen, gab seinem Aufsatz den Titel »Zwitscher« und schrieb dreihundertfünfzigmal »zwitscher, zwitscher, zwitscher, zwitscher, zwitscher, zwitscher …«
Zufällig treffe ich Bumbum nach seinem Abschluß auf der Delancey Street und frage ihn: Was sollte denn das mit dem Zwitschern?
Weiß ich nich. Ich hab manchmal so verrückte Anwandlungen, und dann ist mir alles egal. Ich hab in dem Klassenzimmer
gesessen, und alles ist mir so blöd vorgekommen, dieser Aufsichtslehrer, der uns eingeschärft hat, daß wir nicht beim Nachbarn abschreiben dürfen, und auf dem Fenstersims hat ein Vogel gesessen und vor sich hingezwitschert, und da hab ich mir gesagt, okay, Scheiße, was soll’s, und hab hingeschrieben, was der Vogel von sich gegeben hat. Mit vierzehn hat mich mein Vater in so ein Studio geschickt, damit ich Kampfsport lerne. Der Japaner hat mich eine Stunde lang draußen auf einer Bank sitzen lassen, und als ich ihn gefragt hab, he, Mister, was ist mit meiner Stunde?, hat er gesagt, ich soll nach Hause gehen. Nach Hause? Immerhin hat er ja Geld für die Stunde bekommen. Er hat gesagt, geh heim. Ich hab ihn gefragt, soll ich nächste Woche wiederkommen?, aber er hat nicht geantwortet. Nächste Woche bin ich wieder hin, und er fragt mich, was willst du? Ich sag ihm noch mal, daß ich Kampfsport lernen will. Da sagt er mir, ich soll die Toilette saubermachen. Ich hab nicht kapiert, was das jetzt mit Kampfsport zu tun hat, hab aber nichts gesagt. Ich hab das Klo geputzt. Er sagt, ich soll mich auf die Bank setzen, Schuhe und Socken ausziehen und meine Füße betrachten, sie nicht aus den Augen lassen. Haben Sie sich schon mal Ihre Füße angesehen? Bei mir ist ein Fuß größer als der andere. Er kommt raus und sagt, zieh deine Schuhe an, aber keine Socken, und geh nach Hause. Es ist immer leichter geworden, seine Anordnungen zu befolgen. Ich hab mir nichts mehr draus gemacht. Manchmal hab ich auf der Bank gesessen und nichts gemacht, und dann bin ich wieder nach Hause, hab ihn aber trotzdem bezahlt. Ich hab’s meinem Vater erzählt, aber der hat nur doof geguckt. Es hat sechs Wochen gedauert, bis der Japaner mich für die erste Stunde reingeholt hat. Ich mußte eine Viertelstunde mit
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