Tag vor einem Jahr
Computernerd zusammenarbeiten? Wie heißt er, Brendan?«
»Er heißt Bernard«, korrigierte ich ihn ruhig.
»Ja, meinetwegen. Ist nicht gerade Carolines üblicher Typ, das steht fest. Und hast zu seine Haare gesehen?« Shanes Hand ging automatisch zu seinem Kopf. Mit gespreizten Fingern fuhr er sich durch die Haare, die über seine Augen fielen. Dieser Vorgang dauerte etwa dreißig Sekunden. Ich saß schweigend da und wartete, bis er fertig war.
»Ist Caroline heute Nacht heimgekommen?«, fragte er mich beim Frühstück (zusammen mit Shane eine Schale Müsli und als er zum Duschen ging, vier Scheiben Weißbrot und ein fettes Stück Käse).
»Ja, ist sie.« Allein schon das auszusprechen, machte mich nahezu schwindlig vor Erleichterung.
»Allein?«
Ich sah langsam hoch. Oh Gott, an diese Möglichkeit hatte ich nicht gedacht. Vielleicht hatte Bernard vergangene Nacht hier geschlafen? Aber wenn dem so gewesen wäre, warum waren sie dann so früh weggegangen? Und warum hätte ihn Caroline zu Patrick mitgenommen? Es
sei denn, er hätte sie bis zum Friedhof mitgenommen und wäre dann nach Hause gefahren? Shane musterte mich, während mir diese Fragen durch den Kopf schossen. Ich räusperte mich.
»Was hast du gesagt?«
»Hat sie diesen Typ hierher mitgebracht, wie heißt er nochmal, Jerard?«
»Er heißt Bernard.« Ich sammelte die Teller ein und brachte sie zur Spüle. »Ich weiß es nicht. Ob sie ihn hierher mitgebracht hat, meine ich.« Ich stand mit dem Rücken zu ihm und fühlte mich im Augenblick sicher. Allerdings konnte ich nicht sagen, ob er mich anschaute.
»Sie muss ihn abserviert haben.« Shane schnippte ein Körnchen Staub, dass nur er sehen konnte, vom Knie seiner Jeans.
Ich sagte nichts, bezweifelte es aber.
»Ich glaube, dass er schwul ist«, fuhr Shane fort, nachdem jedes Haar auf seinem Kopf da lag, wo es liegen sollte. Ich setzte mich wieder und widerstand dem Bedürfnis, mich zu ihm hinüberzubeugen und ihm mit beiden Händen die Haare zu zerzausen.
Shane gehörte zu den Männern, die sich einbildeten, dass alle homosexuellen Männer sie anhimmelten. Laut Shane wollten sowohl Ciaran als auch Michael mit ihm ins Bett.
»Schau nur, wie sie mich ansehen«, sagte er bei einer der seltenen Gelegenheiten, bei denen er sich in ihrer Gesellschaft befand. »Herrgott, ich bleibe hier heute Nacht mit dem Rücken zur Wand.« Er begriff nicht, dass Ciaran und Michael gleichberechtigte Partner in einer monogamen Beziehung waren, die viele der Beziehungen meiner Freunde überdauert hatte. »Schwule haben keine Beziehungen, Grace. Sie haben Sex.«
In diesem Punkt war er nicht zu belehren, ich hatte es schon vor langer Zeit aufgegeben. Seine Theorie über Bernards sexuelle Ausrichtung interessierte mich. Da mir klar war, dass er auf dieses Thema näher eingehen würde, wartete ich.
»Ich meine, das würde ich ihr nie offen sagen, aber Caroline sah gestern Abend spitzenmäßig aus. Und dieser Typ, Brendan, hat sie kaum eines Blickes gewürdigt. Das ist einfach nicht normal. Und seine Stimme! So tief und ernst, und dann dieser ganze Augenkontakt. Das ist doch nicht natürlich, oder?«
Shane sah hoch, als ich keine Antwort gab. Seine Augen fixierten mich, und ich grübelte darüber nach, was er wohl denken mochte, hütete mich aber zu fragen.
»Er heißt Bernard«, sagte ich einmal mehr, »und ich bin überzeugt, Caroline wird uns über seine sexuellen Neigungen ins Bild setzen, sobald sie zurück ist.« Den letzten Satz brachte ich schnell zu Ende und wendete dabei meinen Blick von ihm ab. »Sie ist losgezogen, um Patrick zu besuchen. Sie hat eine Nachricht hinterlassen.«
Shane überging wie immer meinen Hinweis auf Patrick. Ich warf es ihm nicht vor. Er warf es sich schon selbst vor, zwar hatte er das nie gesagt, aber ich wusste es. Falls er das Foto von Patrick auf dem Kaminsims gesehen hatte, erwähnte er es nicht.
»Wenn wir schon von sexuellen Neigungen sprechen …« Shane griff über den Tisch hinweg nach mir, und es tat mir gut, meine Augen zu schließen und überhaupt nicht mehr denken zu müssen.
Um vier setzte ich ihn am Flughafen ab.
»Ich rufe dich unter der Woche an und lass dich wissen, ob ich es zur Hochzeit schaffe«, sagte er zu mir, während seine Augen über die Anzeigetafel wanderten, um
herauszufinden, wo er einchecken musste. In Gedanken war er schon weg, als er mir einen flüchtigen Kuss auf den Mund drückte.
»Shane.« Meine Stimme klang dringlich und schrill, und er
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