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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
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Ihre Stimme wurde wieder monoton.
    »Lass uns ausgehen und uns besaufen.«
    Wir waren schneller im Pub, als man »Grace ist eine Alkoholikerin« hätte sagen können, und weil sich das Pub in Rathgar befand, konnte uns der Barmann, ohne mit der Wimper zu zucken, zwei schaumige, rosafarbene Cosmopolitans in breitrandigen Martinigläsern mixen. Nicht gewohnt an Trinkorgien unter der Woche, begann Clare schon bei Drink Nr. 2 die Worte undeutlich auszusprechen. Sie glaubte, dass Alkoholismus ein bisschen wie Kahlköpfigkeit sei: Sobald es einen Fall davon in der Familie gab, standen die Chancen, es auch zu bekommen, ziemlich hoch, da es sich durch den Genpool hindurcharbeitete. Während allerdings in der Familie keine nennenswerte Kahlköpfigkeit existierte, gab es ein paar Verwandte, die »der Flasche zugeneigt« waren, ein Ausdruck, der in diesem Fall »wildwütige Alkoholiker« meint. Aus diesem Grund war Clare von Sonntag, 24 Uhr, bis Freitag, 19 Uhr, streng abstinent. Ihr Ausrutscher heute war bestenfalls beunruhigend, obwohl mir der Alkohol half, nicht darüber nachzudenken.
    »Wo ist denn Richard heute Abend?«, fragte ich, als wir während des zweiten Glases Luft holten.
    »Arbeiten.« Clare hätte genauso gut sagen können: »Seine Oma verkuppeln«, so gehässig war ihr Tonfall.
    »Wahrscheinlich räumt er seinen Schreibtisch auf, bevor er in die Flitterwochen geht«, bot ich ihr an, doch Clare schluckte den Köder nicht.
    »Aber ich brauche ihn.«
    »Für was? Du hast bereits alles erledigt«, argumentierte ich vernünftig. »Alles, was er noch zu tun hat, ist zu erscheinen, Ja zu sagen, dich in den Urlaub zu begleiten und über die Schwelle des Hauses zu tragen, dass ihr bereits besitzt,
wenn ihr zurückkommt.« Mein Gott, wenn ich es so ausdrückte, klang das alles so einfach. Selbst ich hätte es geschafft. Clares Antwort bestand darin, dass sie meinen Bierdeckel in tausend winzige Stücke zerriss, weshalb über den ganzen Tisch Papierkrümel wie eine Schicht Schuppen verstreut lagen. Als sie damit fertig war, sah sie sich nach Nachschub um, doch mit ihrem Deckel hatte sie sich bereits bei der Ankunft beschäftigt. Sie ließ sich in ihren Sitz sinken, hob ihren Drink und leerte ihn. Ich sah mein Glas an. Es war noch immer halbvoll. Halbleer, sollte ich wohl unter gegebenen Umständen eher sagen.
    »Ich brauch noch einen«, sagte Clare mit jenem entschlossenen Blick, den Betrunkene bekommen, wenn sie versuchen, nüchtern zu wirken. Ich musterte sie. Sie sah aus wie zwölf. Kein Make-up und zwei rosige runde Wangen.
    »Tust du nur so, als wärst du betrunken?«, fragte ich sie im Gedenken an ihre Anstrengungen, nach einer Flasche West Coast Cooler betrunken zu wirken, als wir Teenies waren.
    Clare, die sich an die Geschichte erinnerte, sagte: »Ich hab damals nicht nur so getan. Ich wär nicht absichtlich von der Schaukel gefallen. Ich hab mir richtig wehgetan.« Clare hatte darauf bestanden, mich und meine Freunde zu unserer üblichen Trinksession am Freitagabend auf dem Spielplatz am Rand des örtlichen Parks zu begleiten. Wir nannten es damals, bis man das Wort »Assoziale« nicht mehr benutzen durfte, »Asso-Saufen«.
    »Aber du hattest noch nicht einmal eine Flasche ausgetrunken. Und es war nur diese miese Plörre. Von dem Zeug kann man gar nicht besoffen werden, egal wie viel man davon trinkt.«
    Clare beugte sich vor, nahm mein (halbvolles) Glas und trank es mit einem geräuschvollen Schlürfen leer.

    »So.« Sie sagte es auf eine Weise, als meinte sie damit: »Was, verdammte Scheiße, willst du jetzt dagegen tun?« Etwas rosafarbener Schaum hing auf ihrer Oberlippe, und ich hatte mich noch nie in meinem Leben weniger eingeschüchtert gefühlt. Dennoch, ich war die Erste Brautjungfer. Es war meine Pflicht, den Anordnungen der Braut Folge zu leisten. Und wenn sie sich an einem Dienstagabend im Coman’s sternhagelvolllaufen lassen wollte, wer war ich, es ihr zu verwehren? Hinzu kam, dass sie mit ihren großen blauen Augen und ihrem kleinen herzförmigen Gesicht wie ein Kätzchen aussah. Ich ging zur Theke, wo mich der Barmann wie ein Mitglied des Königshauses behandelte, so wenig Gäste hatte das Pub an einem schlappen Dienstagabend. Seine Augen leuchteten auf, als ich zwei weitere Cosmopolitans bestellte, für deren Zubereitung man etwa zwei Minuten länger braucht als für einen gewöhnlichen Gin-Tonic oder einen Cider mit Eis.
    »Wollen Sie dazu ein paar Nüsse?«, fragte er, während er mit seinen

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