Tag vor einem Jahr
könnte sie dazu bewegen, mir von damals zu erzählen, als sie und ihre Freundin an einem Dienstagabend im November nach dem Segen in die Kirche geschlüpft waren und es gewagt hatten, aus der Flasche mit Abendmahlswein (Liebfrauenmilch, Jahrgang 1960) zu trinken.
»Und das Abendmahl stand offen auf dem Altar«, flüsterte sie mir zu, halb schmunzelnd über ihren Wagemut, halb ängstlich, dass sie vielleicht vom Blitz getroffen würde. Ich lachte immer darüber. Dann erzählte sie mir, dass die Kirche früher immer offen gewesen sei.
»Damals war die Kirche immer offen«, sagte sie und schaute vor sich hin.
»Wahrscheinlich mussten sie abschließen, als ihr jungen Mädels angefangen habt, den Abendmahlswein zu stibitzen«, war meine Erklärung dazu.
Dann konnte sie in der Regel nicht mehr an sich halten und sie lachte so sehr, dass ihr die Tränen die Wangen hinunterrollten.
Meine Mutter weinte immer, wenn sie lachte. Vielleicht war das der Grund dafür, dass sie niemals weinte. Weil sie schon ein Meer von Tränen vergossen hatte, wenn wir früher miteinander lachten.
Mein Computer piepste und machte mich auf eine Mail von Shane aufmerksam, die ich gerade bekommen hatte, und in der er um eine Antwort auf seine gestrige Mail bat. Ich tippte langsam, dachte dabei an die Zeit, die ich damit verbracht hatte, auf ihn zu warten.
Werde dich am Samstag in der Kirche sehen. Bin (Erste) Brautjungfer, das zur Erinnerung, fahre also mit Clare, Mam und Jane im Brautwagen zur Trauung – mit Kühlschrank, Champagner und möglicherweise Schokolade.
Ich tilgte das Wort Schokolade und ersetzte es durch Erdbeeren. Gesünder. Weniger dick machend. Es bestand keine Notwendigkeit, ihm den Stock in die Hand zu geben, mit dem er nach mir schlagen konnte.
Als Bernard endlich ins Büro kam, geschah das ganz ruhig und unauffällig. In der einen Minute war sein Schreibtisch leer, als ich nachschaute, in der anderen war er das nicht mehr. Bevor ich ihn sah, spürte ich ihn, und bevor ich hochblickte, wusste ich, dass er dasaß und mit einem schiefen Beinahe-Lächeln und den ernsten Augen, die so dunkel waren wie die Nacht, zu mir herüberblickte. Ich hackte wild auf meine Tastatur ein, schrieb Zeile um Zeile »a;efinrv; nv;aevne’av naerfn e;v ner;ierufhnerfvgebn vre;« quer über meinen Monitor. Meine letzter Make-up- und Frisur-Check heute Vormittag war fast eine Stunde her. Mein Haar hatte ich am Morgen wunderschön geglättet, jetzt war es mithilfe eines dünnen Gummibandes oben am Kopf zu einem lockeren Knoten gebunden und wurde von einem Stift an Ort und Stelle gehalten. Ich überlegte mir, unter den Tisch abzutauchen (um vielleicht einen hinuntergefallenen Tacker aufzuheben?) und meine Haare zu lösen, in meine Wangen zu zwicken und möglicherweise sogar Lippenstift auf meinen Mund zu tupfen.
»Vielen Dank, Grace.« Ich sah hoch, und da war er, spähte mit seiner klitzekleinen Brille in den Monitor. Allerdings nicht in seinen üblichen Klamotten (T-Shirt und Jeans). Er trug einen Anzug. Einen schokoladenbraunen. Mit einem cremefarbenen Hemd, das bis zum Hals zugeknöpft war. Er zerrte am Krawattenknoten und öffnete mit den Fingern der einen Hand den obersten Kopf seines Hemds. Gelockte Härchen sprangen heraus und legten sich wie Spinnenbeine um die Stoffkanten. Ich saugte seinen Anblick auf wie ein Glas kalter Limonade an einem heißen Sommertag.
»Danke für was?«
»Für die Briefing-Unterlagen. Ich habe sie in Galway bekommen, aber bisher noch nicht die Möglichkeit gehabt,
sie durchzulesen.« Er nahm einen Gummi, wickelte ihn sich um die Finger und testete seine Elastizität mit einem Stift, mit dem er den Gummi straffte.
»Kein Problem«, sagte ich mit überdrehter Stimme. Bernard sah etwas irritiert auf und befreite seine Finger von dem Gummi, den er darum gewickelt hatte.
»Der Chef will uns beide morgen Nachmittag sehen«, fuhr ich fort, um Zeit zu gewinnen, »vielleicht könntest du dir also heute Nachmittag alles ansehen, damit wir es morgen früh besprechen können. Sagen wir, um …« Ich gab vor, meinen Outlook-Terminkalender durchzusehen, klickte sinnlos auf meinem Desktop herum und verschob Bildsymbole wie Schachfiguren über den Bildschirm.
»Passt dir acht Uhr?« Ich sah mit meinem rein dienstlichen Lächeln (streng und knapp) zu ihm hoch.
»Morgens?« Er blickte mich entsetzt an, und mein Lächeln wurde milder, mein Gesicht entspannte sich.
»Ich dachte, du bist Frühaufsteher?«, fragte
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