Tag vor einem Jahr
maßvollem Trinken keine große Bedeutung zumaß.
»Hat er überhaupt von der Arbeit gesprochen?« Ich bemühte mich um Beiläufigkeit.
»Nicht viel.« Caroline schenkte dieser Frage die gebührende Aufmerksamkeit. »Obwohl er gesagt hat, dass du deine Arbeit sehr gut machst.« Schon war sie wieder woanders und berichtete mir, dass der Kellner (Mario) ihnen
erzählt hätte, getrocknete Tomaten wären zu dieser Jahreszeit ein besonders gutes Aphrodisiakum. Caroline war ganz aufgedreht, ihr Mund konnte kaum mit ihren Gedanken Schritt halten, so purzelten die Worte aus ihr heraus. Als wir die Bar erreichten, musste ich beide Hände hochheben, um sie zu bremsen, und sie schaute sich verwirrt um, so als würde sie sich fragen, wo wir uns eigentlich befänden.
»Was hättest du gerne zum Trinken?«, fragte ich sie.
»Nein, ich hole die Getränke«, antwortete sie und holte einen verdammt dünnen Geldbeutel aus ihrer Tasche. Carolines Geldbeutel waren immer dünn, sie waren voller 50-Euro-Scheine, aber Münzen waren keine zu sehen. Sie glaubte nicht an Münzen, schon gar nicht an Euromünzen. »Schrott« nannte sie sie und bewahrte sie hinten in ihrem Kleiderschrank in einer Keksdose auf. Am Jahresende schenkte sie sie immer einer Freundin, die für diese Wohltätigkeitsorganisation Trócaire arbeitet. Letztes Jahr waren 325,76 Euro in der Dose, und ich nahm mir am Anfang des Jahres vor, das Gleiche zu machen. Bisher hatte ich es allerdings nur geschafft, eine Keksdose zu kaufen und fast alle Kekse aufzuessen – abgesehen von denen mit Vanillecreme. Doch immerhin war es jetzt erst März. Es blieb also noch eine Menge Zeit, um die guten Vorsätze von Neujahr umzusetzen.
Sobald wir uns mit unseren Drinks niedergelassen hatten, nahm Caroline ohne Anzeichen von Ermüdung den Gesprächsfaden wieder auf. Sie war wie ein Duracell-Hase auf Speed.
»Caroline«, unterbrach ich sie. Ich musste es einfach wissen. »Was ist an ihm, das du so sehr magst?« In dem brennenden Verlangen, es zu erfahren und es gleichzeitig nicht wissen zu wollen, hielt ich den Atem an.
Caroline schloss die Augen, um sich zu konzentrieren und eingehend über meine Frage nachzudenken.
»Ehrlich gesagt weiß ich es nicht«, sagte sie schließlich, schnippte einen Bierdeckel mit den Fingern hoch und fing ihn wieder auf, ohne auch nur hinzuschauen. Sie seufzte, verärgert über sich selbst, weil sie so vage war. »Du findest das sonderbar, oder? Dass ich mich so aufführe.«
»Na ja, es sieht dir so gar nicht ähnlich. Ich habe dich noch nie so erlebt.«
Nach einer Weile sagte sie: »Vielleicht ist es für mich einfach an der Zeit.«
»Lass uns eine Liste erstellen«, schlug ich vor und holte mein Notizbuch aus der Tasche. Wenn ich diese Situation akzeptieren sollte, fing ich besser gleich damit an, sie in den Griff zu bekommen und eine gewisse Solidarität zu zeigen. Caroline war meine Freundin. Sie war da gewesen, als Patrick gestorben war. Sie wusste Dinge, ohne dass ich ihr etwas erklären musste. Sie verstand mich.
»Was für eine Liste?« Caroline grinste. Sie liebte die Vorstellung, eine Liste zu erstellen, ich wusste, dass dem so war, denn sie war eine organisierte Person.
»Dinge, die ihr gemeinsam habt«, sagte ich. »Damit beginnen wir.«
»Oh«, war alles, was sie dazu äußerte. Hochkonzentriert legte sie die Stirn in Falten und hob ihr Glas an die Lippen, obwohl ich nicht glaube, dass sie daraus trank.
»Gut, meiner Meinung nach kommst zuerst du.«
»Du kannst mich nicht auf die Liste setzen«, sagte ich, obwohl ich es wollte.
»Wir haben den gleichen guten Geschmack, was andere Menschen betrifft. Er scheint dich zu mögen, und ich mag dich auch.« Carolines Argument ergab Sinn, wenn man es aus diesem Blickwinkel betrachtete, und so schrieb ich
meinen Namen langsam an die erste Stelle der Liste, die Spitze meines Kugelschreibers litt unter der Schwere meiner Hand.
»In Ordnung.« Ich sah hoch zu ihr. »Was noch?«
Caroline spielte wieder mit dem Henkel ihrer Handtasche. »Nun, er liebt das Segeln.«
»Segeln.« Ich malte ein Boot in der Größe einer Streichholzschachtel neben meinen Namen. »Wie schön.«
»Aber ich mag Segeln nicht.« Mit ihrem Einwand hatte Caroline vollkommen Recht.
»Nein, nicht das tatsächliche Ins-Boot-Steigen, die Bewegung über das Wasser und das Auf- und Abtanzen auf den Wellen«, bescheinigte ich ihr fairerweise, »aber die Vorstellung davon. Die liebst du, oder?« Caroline nickte langsam und sah
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