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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
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seine Haare waren artig glattgestrichen.
    »… und ich muss mit dir sprechen.« Shane redete noch immer.
    »Entschuldige, was hast du eben gesagt? Über was willst du mit mir sprechen?«
    »Ist die Leitung auf deiner Seite schlecht?« Ich hörte, wie sich die vertraute Ungeduld in seinen Tonfall schlich.
    »Nein, nein, es ist nur … jemand hat einen Stapel Telefonbücher fallen lassen, weshalb ich nicht hören konnte, was du gesagt hast.« Telefonbücher. Wer benutzte die denn noch?
    Shane seufzte in das Telefon. »Hör zu, wir sprechen später. Über unsere Pläne. Ich habe mir da etwas einfallen lassen.« Bernard stand jetzt an meinem Tisch und machte mit den Händen eine Geste, als würde er trinken. Ich nickte, und er ging, wohl um Kaffee zu machen. Ich wandte mich wieder Shane zu.
    »Was für Pläne?«
    »Herrgott, Grace. Die, wegen der du mir seit Ewigkeiten in den Ohren liegst. Die, von denen wir am Wochenende gesprochen haben.«
    Ich schielte auf das Telefon hinunter und versuchte mich zu erinnern. Wir hatten uns das gesamte Wochenende über kaum gesehen. Es hatte keine wichtigen Gespräche gegeben. Daran hätte ich mich doch erinnert, oder?
    »Wir haben am Wochenende doch gar keine Pläne besprochen«, erwiderte ich verwirrt.
    »Aber ich bespreche sie verdammt nochmal jetzt!« Shanes Stimme war schrill, und in Gedanken konnte ich seinen Mund sehen: eine schmale Linie. Ein Schatten fiel auf meinen Tisch, und ich schaute hoch. Bernard stellte
vorsichtig einen Becher Kaffee auf meinem Untersetzer ab, auf dem zu lesen war: »Ich mag keine Montage, Dienstage, Mittwoche und Donnerstage.«
    »Danke, Bernard«, flüsterte ich ihm zu.
    »Was hast du gesagt?«
    »Entschuldige, Shane. Das war Bernard. Ich war eben …«
    »Himmel, dieser Kerl ist auf einmal überall. Sieht er denn nicht, dass du telefonierst? Mit mir?«
    Ich atmete tief durch: durch meine Nase ein und durch meinen Mund aus. Dann erklärte ich Shane mit einer Stimme, deren gelassener Tonfall mich überraschte, dass ich gehen müsste und wir diese Unterhaltung am Wochenende fortsetzen könnten.
    »Ich versuche, einen Flug für Freitagabend zu buchen und geradewegs zur Wohnung zu kommen.«
    Einmal mehr sagte ich ihm, dass ich Freitagnacht zusammen mit Clare und Jane im Haus meiner Mutter übernachten würde. Sein Gehirn blendete offensichtlich alle Einzelheiten die Hochzeit betreffend aus.
    »Wir treffen uns dann also nach der Trauung. Weißt du noch, der Teil, in dem sie ›Ja‹ sagen?« Ich musste es einfach hinzufügen, um zu sehen, was er sagen würde. Er sagte gar nichts. Immerhin, um Shane Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, muss man anmerken, dass er Pläne erwähnt hatte. Während ich den Hörer auf die Gabel zurücklegte, fragte ich mich, wie seine Pläne wohl aussehen mochten.

40
    Es war spät, als ich endlich den Stift aus der Hand legte und das Gebäude verließ. Selbst der getönte Spiegel im Aufzug verhielt sich mir gegenüber nicht gerade gnädig. Mein Gesicht wirkte abgespannt und blass und meine Augen waren nach dem Excel-Wahnsinn am Nachmittag wässrig und mit roten Äderchen durchzogen. Dennoch war die Sitzung mit dem Chef gut verlaufen, und ich näherte mich dem Ziel, das ich mir für die erste Arbeitswoche gesteckt hatte: nicht enttarnt und nicht gefeuert zu werden.
    Als ich auf dem Parkplatz ankam, war es noch immer hell, und ich blieb einen Augenblick stehen und spielte mit dem Gedanken, zum Friedhof zu gehen. Wann immer ich vorher darüber nachgedacht hatte, war es dunkel gewesen, was mir die Entscheidung erleichtert hatte. Ich meine, wer geht schon nach Einbruch der Dunkelheit auf einen Friedhof? Jetzt war es hell. Genau genommen war es sogar sonnig, und ich fuhr mit meiner Hand am Boden meiner Tasche entlang, um nach einer Sonnenbrille zu suchen, die ich aber nicht finden konnte. Im Wachhäuschen war es dunkel, die Rollläden waren heruntergezogen, was ihm das Aussehen einer Eisbude nach der Saison verlieh. Es war das erste Mal, dass Ciaran vor mir gegangen war. Ich beschloss, ihm am Morgen eine Mail zu schicken und zu fragen, ob er seinen halben freien Tag genossen hätte. Noch stand ich unentschlossen da. Mein Auto war eines von dreien, die nach wie vor auf dem Parkplatz standen, und ich versuchte
herauszufinden, wem die anderen beiden gehörten. Eines war möglicherweise Nialls; durch das Rückfenster sah man Spielsachen und leere Chipstüten, wobei allerdings eine Packung Himbeer-Fruchtzwerge auf dem Armaturenbrett der

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