Tag vor einem Jahr
Blicke der Schaulustigen ließen mich vor Scham im Boden versinken. Ich dachte über eine Zigarette nach, aber das hätte bedeutet, mein Kleid hochzuraffen und die Schachtel aus dem engen Strumpfband herauszuziehen.
»Grace, was machst du da so allein?« Es war Clare. Das Glück umgab sie wie ein warmes Licht. Ich schob meine Sonnenbrille nach unten und verbarg meine geschwollenen Lider dahinter.
»Ich habe vorhin mit Shane gesprochen, und er hat mir von seinem Plan erzählt, dich zu ihm nach London zu holen. Das ist perfekt, oder nicht?«
»Nun, ich …«
»Zwischen euch beiden ist also alles geklärt. Und Laura und Peter sehen aus wie das perfekte Paar.«
»Ja, sie …«
»Es löst sich also alles in Wohlgefallen auf, nicht wahr?«
Ich nickte. Was hätte ich auch sonst tun sollen?
Zurück im Hotel bewegte ich mich wie ein Schatten, glitt zu Gruppen von Menschen, die meinen Namen riefen und wie Matrosen im sanften Licht der Abenddämmerung schwankten, und entfernte mich wieder von ihnen. In einer dunklen Ecke der Bar entdeckte ich Laura und die anderen und rannte zu ihnen, um dort Zuflucht zu suchen. Sie umarmten und küssten mich alle der Reihe nach und bemerkten in dem trüben Licht des Raums meine verquollenen Augen und mein verheultes Gesicht nicht. Tatsache war, dass sie alle ziemlich betrunken waren. Laura klärte mich auf.
»An der Bar gibt es für die Hochzeitsgäste alles auf Rechnung des Hochzeitspaares.«
»Wir haben doppelte Cosmopolitans genommen«, säuselte Norman, dessen langgliedrige Hand ein langstieliges, breitrandiges Glas umklammerte, auf dessen trübem rosafarbenen Inhalt drei Schirmchen auf Zitronenscheiben dahinsegelten.
»Hol dir einen, Grace. Die schmecken so gut«, lallte Jennifer, die bereits zwei getrunken hatte und beschwipst war.
»Ich hol dir einen.« Ethan sprang auf und hätte fast die Getränke vom Tisch gestoßen.
»Also?« Laura sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
»Was?«, fragte ich misstrauisch.
»Wo ist Shane?«
»Was stimmt nicht mit Peter?« Ich versuchte verzweifelt, sie abzulenken. Wir sahen beide zu ihm hinüber.
Er saß in der Ecke, sprach nichts und war damit beschäftigt, sich Vaseline auf die Lippen zu reiben, die rot und geschwollen aussahen.
»Sie sind ganz trocken und wund«, erklärte mir Laura flüsternd, »von dem ganzen Geknutsche.«
»Deine sehen in Ordnung aus«, bemerkte ich und schielte auf ihren makellos pfirsichfarbenen Schmollmund.
»Ja, aber meine sind daran gewöhnt. Peter, Gott segne ihn, war bedenklich aus der Übung, obwohl ich sagen muss, dass er ein vielversprechendes Talent ist.« Laura warf einen liebevollen Blick auf ihren Schützling.
»Wann wird er denn voraussichtlich seinen Abschluss machen?«, fragte ich. Laura brüstete sich damit, sich einen Mann zu nehmen, ihn zu unterweisen und ihn als bestens versiert in der Liebeskunst wieder in die Gesellschaft zu entlassen. Ihr Unterricht beinhaltete so diffizile Themen wie:
Wie man einen vorzeitigen Samenerguss verhindert (Denke an deine Mam, wie sie deinem Dad einen Blow Job gibt, wobei sich beide splitterfasernackt auf der O’Connell Street befinden.)
Cunnilingus, richtig gemacht
Wie man einen vorgetäuschten Orgasmus von einem echten unterscheidet
Schmerzfreier Analsex (Laura liebte Analsex.)
S&M für Anfänger
S&M für leicht Erfahrene (Absolventen des Anfängerkurses)
S&M, Modul für Fortgeschrittene (Meines Wissens war nie einer von Laura für gut genug befunden worden, um in diesem Kurs einen Abschluss zu machen.)
Laura sah dies als ihren Beitrag an die Gesellschaft an. Sie fühlte sich gut bei dem Gedanken, dass ihr Grüppchen von Absolventen hingehen und die Liebe verbreiten würde. Wir nannten es Lauras Schule der Liebe.
Sie sah noch immer Peter an, weswegen ich sie noch einmal fragte.
»Wann wird Peter seinen Abschluss machen?«
Sie warf mir einen vernichtenden Blick zu.
»Nicht so bald. Ich muss noch eine Menge Arbeit in ihn investieren, bevor ich mit ihm fertig bin.« Sie leckte sich über die Lippen und ging zielstrebig zu ihm hinüber. Peter rutschte auf der Bank zur Seite, um ihr Platz zu machen. Für meine Begriffe sah er müde, aber glücklich aus.
Ethan kam strahlend mit meinem Drink zurück.
»Was ist mit dir los?«, wollte ich wissen.
»Ich habe ein Mädchen kennengelernt«, sagte er mit stolzgeschwellter Brust.
»Jetzt gerade?« Ich sah mich fragend um.
»Nein, letzte Woche bei meinem Abendkurs«, erklärte er. »Ich habe
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