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Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Titel: Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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passiert. Alles normal. Keine Ratlosigkeit, kein fassungsloses Entsetzen bei Taina und Ville, in der Verwandtschaft, bei den Freunden. Das Flugzeug, das er nie betreten hatte, war nicht abgestürzt.
    Die Dame am Schalter für die Mietwagen lächelte, ohne freundlich zu sein, und händigte ihm einen Schlüssel aus. Der Schlüssel passte ins Schloss eines Kleinwagens, der draußen unter einer kühlen Sonne auf einem weiten Parkplatz stand. Er stieg ein, legte die Reisetasche auf den Beifahrersitz. Betrachtete den penibel aufgeräumten Innenraum des Fahrzeugs, beugte sich nach vorn, betastete das Lenkrad. Blieb einige Minuten lang so sitzen. Dann richtete er sich auf und fuhr los.
    Ankommen, abreisen.
    Zweihundertfünfzig Kilometer hatte das Internet versprochen. Zweihundertfünfzig Kilometer oder fünf Zentimeter, eine blaue, ein wenig gebogene Linie von fünf Zentimetern, er hatte sie nachgezeichnet, mit dem Zeigefinger den Bildschirm berührend. An einer Tankstelle versuchte er, den Mann an der Kasse nach dem Weg zu fragen. Er verstand ihn nicht, und die Autobahn mündete in einen Schotterweg, der nicht zu enden schien. Réka rief an.
    »Wo bist du?«, fragte sie.
    »Unterwegs«, sagte er. »Auf dem Schotterweg, der sich Autobahn nennt.«
    »Was sagst du?«
    »Schotterweg. Die Straße ist … schlecht, ich komme kaum voran.«
    »Ah … das ist mein Land. Nicht dein Land.«
    Er lachte.
    »Wann kommst du?«
    »In ein, zwei Ewigkeiten, jetzt bin ich hinter einem Traktor gelandet.«
    »Hm?«
    »Bald«, sagte er. »Bald bin ich bei dir.«
    Die Straße wurde schmaler, die Felder rauer, die Häuser auf beiden Seiten schienen in schiefen Ebenen erbaut worden zu sein, und das Ziel seiner Reise war nicht ausgeschildert. Die schiefen Häuser hatten keine Nummern, die Straßen keine Namen. Er rief Réka an.
    »Wo bist du?«, fragte sie.
    »Nicht weit. Denke ich. Hier ist ein Straßenschild … warte kurz … Tamesa …«
    »Was?«
    »Tamesa … ich kann das nicht genau … ich glaube, so heißt das Dorf hier …«
    »Ah, falsch.«
    »Wie muss ich denn von hier aus …«
    »Zurück. Und rechts an dieser … wie heißt das …«
    »Hallo?«
    »So … gelb … gelbes Haus … Politiker …«
    »Rathaus?«, fragte er.
    »Ja. Genau.« Sie lachte. »Du verstehst mich, egal, was ich rede. Da dann rechts.«
    »Ok.«
    Er wendete und spürte ein Stechen im Magen, als tatsächlich nach einer Weile das kleine Haus vor ihm auftauchte, das wenig Ähnlichkeit mit einem Rathaus hatte, aber die gelbe Farbe machte Hoffnung. Er bog nach rechts ab, auf einen Weg, der noch schmaler war als die anderen, und nach wenigen hundert Metern blockierte eine Schafherde die Weiterfahrt.
    Er stand, mit laufendem Motor, im Nichts. Die Sonne schien hell, aber kühl, und der Hirte oder wie auch immer man den Mann nennen sollte, machte keine Versuche, seine Schafe in eine andere Richtung zu lenken.
    »Äh … hallo?«, rief Markus Sedin, aber der Mann reagierte nicht. Sedin wollte noch einmal neu ansetzen, aber dann lehnte er sich zurück, schaltete den Motor aus und wartete.
    Nach einigen Minuten hatte er das Gefühl, aus den kaum merklichen Bewegungen der Schafe ein Muster herauslesen zu können. Eigentlich könnte er auch hierbleiben und seinen Tätigkeiten nachgehen, dachte er und spürte ein Lächeln auf seinem Gesicht. Einfach hierbleiben, auf diesem Schotterweg zwischen den Welten, denn die Bewegungslinien, die die Schafe hinterließen, schienen eine gewisse Ähnlichkeit mit den Charts und Kurven zu offenbaren, die er an den anderen Tagen des Jahres anstarrte, vor seinem kleinen Bildschirm im neunten Stock des Glasturms sitzend.
    Er schloss die Augen. Bergenheim hatte drei Nachrichten hinterlassen, die er nur kurz überflogen hatte, alle hatten den OptiRent und die Idioten von Kesken OY zum Thema gehabt, die nach Wochen der Erholung dabei waren, ihre Firma und damit auch den schönen Fonds seiner Bank gegen die Wand zu fahren. Aber Leno, der aufstrebende Kollege, würde das schon richten, und er, Sedin, hatte Urlaub. Zwei Tage, von geschätzten zweihundert, die er in den vergangenen Jahren angespart hatte.
    Als er die Augen wieder öffnete, waren die Schafe verschwunden, und er fragte sich, ob sie je da gewesen waren. Er startete den Wagen und fuhr auf dem schmalen, von Schlaglöchern durchzogenen Weg nach Krisztina. Das Schild war von getrocknetem Schlamm bedeckt, kaum lesbar, aber es stand tatsächlich da. Er spürte ein Brennen hinter den Augen, während

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