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Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Titel: Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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er sie anrief.
    »Ich bin da«, sagte er. »Stehe hier … an dem Schild hier, von deinem Dorf. Krisztina.«
    »Bin gleich da«, sagte sie.
    Er schaltete wieder den Motor aus, wartete. Immer so weiter warten, dachte er, auf Dinge, die passieren würden. Gestern oder morgen, Hauptsache irgendwann. Er saß in einem leeren, abgeschlossenen Raum, umgeben von kleinen, windschiefen Häusern unter einer Sonne, die nicht wärmte, aber ein warmes Licht aussendete. Er sah sie, beschwingt laufend, lächelnd, sie kam auf ihn zu. Dann stand sie vor ihm, und er fand die Kraft, die Tür zu öffnen.
    »Da bist du also. Wirklich«, sagte sie.
    Er stieg aus dem Wagen und legte seine Arme um sie. Hielt sie fest, lange, bis sie auflachte und sagte, sie wolle ihm ihr Zuhause zeigen. Sie fuhren im Schritttempo den Weg entlang, und Réka deutete auf ein Haus, das eher eine Hütte war, mit einem kleinen Garten, der in merkwürdigem Kontrast zum Rest stand. Der Garten war penibel gepflegt, die Beete akkurat voneinander getrennt, die Hütte schien in wenigen Augenblicken in sich zusammenzufallen. Er stand davor, schweigend, und versuchte, das, was er sah, mit dem abzugleichen, was er erwartet hatte.
    »Ich habe dir ja gesagt … wie es hier aussieht … in meinem Dorf …«, sagte Réka.
    Er nickte, ohne den Blick von der Hütte zu nehmen. Der Putz war abgeblättert, das provisorisch abgedeckte Dach würde noch einigen Regenfällen standhalten, aber nicht allzu vielen. Die große Satellitenschüssel, die neben dem Schornstein hing, wirkte wie ein Fremdkörper, ein absurdes Element aus der Welt, die er kannte.
    »Gehen wir rein?«, fragte sie, und er löste sich aus der Erstarrung. Ein kleiner Junge kam ihnen entgegen, in einem Tarnanzug, misstrauisch lächelnd. Er dachte an Ville und strich dem Jungen, einem Impuls folgend, leicht über die Haare.
    »Hei«, sagte er, und der Junge lächelte wieder, fragend, aber jetzt etwas offener.
    »Das ist der Sohn von … wie sagt man … von meiner … Cousine.«
    »Ah«, sagte er.
    »Und dadrin ist meine Mama. Komm.«
    Er folgte ihr ins Innere der Hütte und sah eine Frau in einer Tracht, die ihn ein wenig an die traditionellen Kostümierungen der Lappen im Norden Finnlands erinnerte, auf einem Sofa liegen. Das Sofa war schmal, die Frau korpulent, der Fernseher lief ohne Ton, auf dem Bildschirm eine Frau und ein Mann, in pathetischen Gesten erstarrt.
    »Hei«, sagte Sedin und gab der Frau die Hand.
    »Und das sind meine Brüder«, sagte Réka, und Sedin sah einen jungen Mann und einen Teenager im Schatten stehen, die Blicke ähnlich fragend, neugierig, misstrauisch wie die des kleinen Jungen draußen.
    »Ja. Hei«, sagte er. »Ich bin Markus.«
    »Das haben sie sicher verstanden«, sagte Réka und lächelte. »Aber mehr Englisch können sie alle nicht. Leider.«
    »Kein Problem«, sagte Sedin.
    »Komm, ich zeige dir, wo wir schlafen.«
    Sie führte ihn durch den Gang in ein kleines, mit Betten zugestelltes Zimmer.
    »Also … meine Mama schläft mit dem Kleinen im Wohnzimmer, und hier schlafe ich eigentlich mit meinen Brüdern und meiner Schwester, aber die ist heute unterwegs. Und meine Brüder schlafen bei Freunden heute, also hier heute … nur wir.«
    Er nickte.
    »Gut?«
    »Ja. Natürlich. Ich … will … aber keine Umstände machen. Wenn du magst, könnten wir … ein Hotel …«
    »Quatsch«, sagte sie. »Hier gibt’s kein Hotel.«
    »Ja«, sagte er.
    Während sie zu Abend aßen, Kartoffeln mit Käse und Tomaten, spürte er einen Schwindel hinter der Stirn, der weder stärker noch schwächer wurde und noch nicht vergangen war, als sie nebeneinander auf dem Bett im Dunkel lagen.
    Er dachte an Taina und Ville und daran, dass er vergessen hatte, sie anzurufen und zu sagen, dass er gut angekommen war, wo auch immer. Dass alles seinen geregelten Gang ging und dass er bald zurück sein werde. Réka hatte sich aufgerichtet und über seine Hose gebeugt und fingerte am Reißverschluss herum.
    »Lass mal«, sagte er.
    Sie sah ihn fragend an, er erahnte ihre Augen im Dunkel.
    »Lass gut sein. Es sei denn, du hast gerade jetzt riesige Lust, mit einem relativ alten Mann …«
    Sie lachte.
    »Wusste ich doch«, sagte er. »Leg dich einfach hier hin. Zeit, zu schlafen.«
    Sie legte den Kopf an seine Schulter.
    »Markus …?«
    »Hm?«
    »Als ich dich gefragt habe, ob du mich mal … besuchen kommst … bei mir zu Hause, in meinem Dorf …«
    »Ja?«
    »Ich habe nie gedacht, dass du das machst. Aber du hast

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