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Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Titel: Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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Parkplatz stand, als sei er abgestellt worden, um nicht mehr benutzt zu werden. Eine Schramme oder Delle, einen Kratzer im Lack oder etwas Ähnliches konnte er nicht erkennen.
    Er stieg ein und fuhr los. Schon nach einigen hundert Metern führte eine Auffahrt auf die Autobahn in Richtung Helsinki. Die flackernden blauen Lichter sah er nicht mehr, das Raumschiff, die Eishalle, lag in der Ferne, diffus, hinter Schneeflocken und den schnell arbeitenden Scheibenwischern verborgen, die Nacht begann, mit dem Morgen zu verschmelzen.
    Er bog ab und folgte einer geraden Linie, auf der keine Schafe mehr liefen und an deren Ende kein Wald wartete, sondern ein Park und ein Haus. Ein neues, makelloses Haus, mit breiten erloschenen Fenstern, ein silberner Aufzug, der ihn nach oben trug, bis zur Eingangstür der schneeweißen Wohnung, die dunkel war und sich leer anfühlte, als er sie betrat.
    »Réka?«, sagte er.
    Er erhielt keine Antwort und tastete nach dem Lichtschalter.
    »Hallo?«, sagte er.
    Réka saß auf dem Sofa, zurückgelehnt, in einer Position, von der Sedin im ersten Moment dachte, dass sie nicht bequem aussah, nicht angenehm. Dann sah er, dass eines der weißen Kissen, die er gemeinsam mit ihr gekauft hatte, in einem schönen, empfehlenswerten Geschäft in der Innenstadt, rot verfärbt war, und er fragte sich, warum.
    Auf dem Boden lag ein Mann, den er nicht kannte, ein großer, etwas übergewichtiger unbekannter Mann, der die Arme weit von sich gestreckt hatte und in dessen Oberkörper eine blutende Wunde klaffte.
    Sedin stand eine Weile und betrachtete das Bild. Er fühlte sich ruhig, denn ihm war vollkommen bewusst, dass das, was er sah, mit der Realität nichts zu tun haben konnte. Die Schafe waren stehen geblieben und erstarrt. Zu Eis gefroren. Bereit, aufzutauen und die Richtung zu wechseln, um an den Ort zurückzukehren, von dem sie gekommen waren. Sie warteten nur auf sein Signal, sie warteten darauf, dass er sie in Bewegung setzte.
    Er ging in die Küche und öffnete den Kühlschrank. Ein Rest des Weins war noch da, den er mit Réka getrunken hatte, am Abend zuvor. Er nahm die Flasche und ein Glas, ging durch das Wohnzimmer, an den Leichen vorbei, und öffnete die Tür zum Balkon.
    Er trat ins Freie, in einiger Entfernung schaukelten zwei große Fähren im Wasser, eine hell beleuchtet, eine ganz dunkel. Er goss ein und trank und dachte ohne Eile darüber nach, dass er wenig Zeit hatte. Es würde noch eine Weile dunkel bleiben, aber der Morgen kam, und die Menschen, die jetzt schliefen, würden erwachen und beginnen, sich zu bewegen, Dinge zu tun, Ziele anzusteuern.
    Er stellte das Glas ab und ging zurück, durch das Wohnzimmer in den Flur, ins stille Treppenhaus, der Aufzug war noch da, wartete auf ihn. Er fuhr nach unten, ging zu seinem Wagen und nahm aus dem Kofferraum die Plane, die er gekauft hatte, um den Pool abzudecken, denn die alte Abdeckung war brüchig geworden, vermutlich als Folge der kühlen Witterung oder einfach, weil das Material nicht so gut und widerstandsfähig gewesen war, wie es der Hersteller versprochen hatte.
    Er schulterte die Plane und ging zurück ins Haus, fuhr mit dem Aufzug nach oben. Er warf einen Blick auf sein Handy, drei Anrufe in Abwesenheit, Réka, aber er wollte nur die Uhrzeit wissen. 4.25 Uhr. Eine gute Zeit, Schlafenszeit, er dachte an Ville, der träumte, in der Welt der Jedi-Ritter, und zog die Frau, die auf dem Sofa saß, in einer unnatürlichen, unrealistischen Position, auf den Boden, auf die Plane, die er sorgfältig ausgebreitet hatte. Er nahm die Plane und zog daran, schleifte die Frau durch die Tür zum Aufzug und fuhr nach unten. Es ging leichter, als er befürchtet hatte. Das Treppenhaus war leer, und als er mit der Schulter die Tür nach vorn schob und in die Kälte hinaustrat, sah er sich gar nicht um. Vage spielte er ein Szenario durch, er würde die Plane über die Frau werfen und sagen, dass er einen Strauch abgeholzt habe und an den Waldrand bringe, falls irgendwer plötzlich neben ihm stehen und sich wundern würde.
    Aber es kam niemand. Kein Licht brannte, kein Jogger lief um halb fünf durch den Park, sogar der Schnee hatte aufgehört zu fallen, der Himmel war schwarz und undurchdringlich. Er schleifte die Plane über den weichen Boden, bis der Park begann. Bis zu der Bank, auf der er gesessen hatte, mit Réka, schwer atmend, glücklich, am Ende der Schneeballschlacht. Er hievte die Leiche auf die Bank, legte sie ab, nahm die Plane und ging

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